Arbeiter-Jugend 93 *
Gottfrieb Kellers Bücher ſind nicht leicht zu leſen. Es iſt viel Nachdenkliches ein-
geſtreut, Betrachtungen über Menſchen, Welt, Volk und Dinge, die langſam und ernſt»
hoft geleſen ſein wollen. So ſind ſie vor allem reiferen Jugendgenoſſen zu empfehlen.
Freilich) werden auch die Jüngeren an vielem Freude finden, an der Geſchichte der
Kinder- und Schuljahre, der Wanderungen, der Knabenfreundſchaften, des Dorflebens,
den wundervollen Naturſchilderungen.
Seit Goethe iſt wohl Gottfried Keller unſer reifſter und beſter Erzähler. Wir
dürfen ihn unſer nennen, wenn er auch ein Schweizer war, denn er ſchrieb in unjerer
Sprache und liebte Deutſchland und deutſche Kultur. Doch politiſch fühlte er immer
als freier Bürger einer Republik, und ſo würde ihm in dieſer Beziehung, wenn er
zi0ch lebte, das neue Deutſchland wohl näher geſtanden haben als das alte.
Silegende Svnne.
| Von EC. HOllenhauer.
"WW v7 Sj ärzſiürme braufen über das Land. Sie fegen das Morſche und Zerbrechliche hinweg
9 8 8 und ſchaffen Raum für keimendes, neues Leben. Die Knoſpen ſchwellen und
0-3 S ſpringen, zarte Blättchen drängen zum Licht, über Wieſen und Felder breitet
vic das erſte Grün. Frühling wird es! Wie jauchzender Jubel brechen ſonnige Vor-
ſrühlingstage in die dunklen, kalten Steimnaſſen der Großſtädte. Und ſtärker als der Lärm
Bes Tagewerks erbrauſt das Siegeslied des befreienden, lebenerwe>enden Märzſturms.
Wenn avu< dann und „wann nod) einmal in ven weiterwendiſchen Kampfestagen der Natur
der Schnee das junge Leben zu erdrüc>en ſucht: ſieghafi wird eines Tages goldiger Sonnens
üpein die lezten Widerſtände beſeitigen und Leben, grünendes, blühendes Leben in ver-
kchwenderiſcher Fülle we>en. Dann' wird es Frühling ſein im weiten Dom der Natur.
Wieder ſtehen wir ſtaunerrd vor dieſem großen Werden. Unſere Seelen klingen, wenn
vie Sonne durch die Straßen fließt, und wir bücken uns trauernd über die Werkbank, wenn
ver Winter im lezten Aufbäumen wütende Schneeſchauer gegen die vergitterten Scheiben
wirſt. Jedes Jahr erleben wir ſo die große Auferſtehung der Natur, ihren unbezwingbaren,
fieghaften Lebenswillen. Wir Jugend gleichen dieſen Märztagen, und ſiegender Frühling
iſſiegende Jugend, die allen Hinderniſſen troßt, die kämpfend ſich zur lebenerwecen-
den Sonne bekennt. |
Jreunde! Auch unſere Zeit gleicht ſolchem März. Neves Leben will in uns und um uns
werden Not und Entbehrungen bannen hofſnungsvolle Keime neuen Lebens in Bedeutungs-
fofigkeit. Die Arbeitenden der Welt leiden. Sie wollen aufwärts ſteigen, und mächtige
Feſjeln ketten Millionen lebensfroher Menſchen. Um ihre Befreiung tobt ein erbitterier,
aüher Kampf. Gein Getöſe, ſein Fieber dringt bis in die letzte, kieinſte Hüite. Es iſt ein
ſchweres Ringen, weil es geſührt wird mit der verſtandsmäßigen, begeiſterungsloſen Ere
kenntnis ſeiner unbedingten Notwendigkeit. .
Das darf aber nicht ſein! Wir Jungen wollen es nicht. Sozialismus iſt nicht
nur eine wirtſchaftliche Neuordnung: er iſt die vollkommene Lebensgemeinſchaft aller Schaffen-
den. Und darum muß dieſer Kampf aud) geführt werden mit begeiſtertem Herzen. Das
wollen wir! Wir wollen Vorfrühlingstage ſein, die Leben we>ken. Unſere Freude
foll ſiegen helfen! Mit unſerem JIugendleben, mit unſerem natürlichen, ſchlichten
Srohſinn wollen wir Sonne in die grauen Tage der Arbeiterſchaft tragen. Durch unſer
Lohen und Streben wollen wir der Arbeiterſchaft nahe bringen, daß die ſozialiſtiſche Gemein
ſchaft im Werden iſt. Ihr möge durch uns bewußt werden, daß ihr Ringen nicht vergeblich
ft. Wir ſind im Siegen! Nod tobt der Kampf, aber er wird jeßt geführt mit der Freuds, .
ie Sonns iſt. Sonne aber ſiegt immer]
Märzſtürme durc<toben unſere Zeit. Sie zerbrechen das Morſche und weten - neues
Leben. Gonnige Vorfrühlingstage laſſen es wachſen, rauße Winterſtürme ſuchen es zw
kürzen. Sie werden es nicht erreichen; denn wir Arbeiterjugend Ichüßzen vas Neue, Werdende.
Wir werden kämpfen mit den Wintersnächten und ſiegen, weil wir ſieghafte Frühlings»
(928, 915 175 felblt geberen, in unſere „higendtage und unſere Kampfgemeinſchait tragen,