Full text: Arbeiter-Jugend - 14.1922 (14)

8 Arbeiter-Jugend 
Spaltung zwiſchen den Anhängern von Marx und denen des ruſſiſchen Revolutio- 
närs Michael Bakunin auszubrechen. Liebknecht hielt treu zu Marx und ſtand Ba- 
kunin und den anarchiſtelnden Beſtrebungen dauernd ſeindlich gegenüber. 
Als Bismar> im Jahr 1870 den Krieg gegen Frankreich heraufbeſchwor und der 
größte Teil des deutſchen Volkes ſich täuſchen ließ und dem Kriege, von dem man 
die Einigung Deutſchlands erhoffte, zuiubelte, enthielten Liebknecht und Bebel ſich 
bei der Abſtimmung über die Kriegsanleihe der Stimme und verharrten in der ent- 
Ichiedenſten Oppoſition gegen die Blut- und Eiſenpolitik. Wenn wir bedenken, welches 
Unheil die preußiſche Eroberungspolitik im Gefolge gehabt hat, darunter auch den 
Weltkrieg unſerer Tage, müſſen wir ſagen, daß jene beiden die weiteſtbli>enden 
und am klarſten ſehenden Köpfe waren. Damals aber, in dem gewaltigen Freuden- 
rauſch der Nation über die Siege und das neue Kaiſerreich, wurden ſie als „vater 
landsloſe Geſellen“ beſchimpft, wiederholt ernſten Verfolgungen ausgeſeßt und ſchließ» 
lich im Jahre 1872 in Leipzig wegen Hochverrats vor das Schwurgericht gebracht. 
Beide hielten glänzende Verteidigungsreden, und Liebknecht erklärte ſich damals offen 
als „Soldat der Revolution“. Das Urteil lautete auf je zwei Jahre Feſtungshaft. 
Sie verbüßten die Strafe in Hubertusburg in übrigens milder Haft, Beide wurden 
nun in den deutſchen Reichstag gewählt und konnten nach ihrer Freilaſſung wieder 
ihre ganze Kraft in Wort und Schrift betätigen. 
Die Verſchmelzung der Laſſalleaner und Eiſenocher zur Sozialiſtiſchen Arbeiter 
partei auf dem Kongreß zu Gotha im Jahr 1875 brachte der Bewegung einen 
mächtigen Aufſc<hwung. Daß Liebknecht das Schreiben von Marx, der mit dem neuen 
Programm nicht einverſtanden war, nicht damals, ſondern erſt viel ſpäter veröffent» 
lichte, war durchaus richtig gehandelt, hätte es do) nur das Einigungswerk geſtört. 
Liebknecht leitete nun als Cheſredakteur das Zentralorgan der geeinigten Partez 
den „Vorwärts“ in Leipzig, der aus dem „Volksſtaat“ erwuchs. Unter den vielen 
Sdcriften, die er verſaßte, wollen wir erwähnen: „Wiſſen iſt Macht -- Madt iſt 
Wiſſen“, „Zu Schutz und Truß“, „Zur Grund- und Bodenfrage“, „Soll Europa 
koſakiſch werden?“ Der ruſſenſreundlichen Drientpolitik des Kanzlers trat er mit 
beſonderer Schärfe entgegen, war überhaupt der eigentliche Wortführer der Partei 
in der äußeren Bolitik. Als nach den Attentaten von 1878 der Reichstag auſgelöſt 
und die ſchmachvolle Sozialiſtenhetze entſeſſelt wurde, wurde Liebknecht wieder in 
Stollberg-Schneeberg gewählt und kämpfte tapfer gegen das drohende Ausnahme»- 
gejezß. Seine große Reichstagsrede vom 18. Oktober, am Vorabend der deſini» 
tiven Annahme des Schandgeſeltzes gehört zu den beſten Leiſtungen jener Zeit. 
Nach Inkrafttreten des Geſees mußte der „Vorwärts“ eingehen. Viel Elend 
wurde über unſere Genoſſen heraufbeſchworen, doch hielten wir tapfer aus. Nach 
Verhängung des Belagerungszuſtandes über Leipzig wurde - Liebknecht dort, ſpäter 
auch aus Berlin ausgewieſen. Er nahm nun ſeinen Wohnſitz in Borsdorſ bei Leipzig 
und ernährte ſich und die Seinen mühſam durch den Ertrag ſeiner Feder. Auch 
in die Geheimbundsprozeſſe jener Zeit war er verwickelt und zog ſich noch manche 
Freiheitsſtrafe zu. 
Bei der Beerdigung ſeines großen Lehrers Karl Marx in London, im März 
1883, hielt er die deutſche Rede. Er gehörte überhaupt zu den hervorragendſten 
Rednern auf den im Auslande tagenden Kongreſſen. Im Jahr 1886 bereiſte er auf 
einer Agitationstour mit Marx" Tochter Eleanor und ihrem Gatten Aveling Amerika. 
Die dort empfangenen Cindrücde legte er nieder in der Schriſt: „Ein Bli> in die 
neue Welt.“ Bei ver Reichstagswahl von 1887 unterlag er, ſiegte aber 1888 in 
einer Nachwahl in Berlin VI und gehörte nun bis an ſein Ende dem Reichstag an.
	        
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