Arbeiter-Jugend | | 9
Als im Jahr 1889 in Paris der erſte Internationale Arbeiterkongreß tagte, wurden
. Liebknecht und Bebel beſonders freudig empfangen. Dieſer Kongreß bildete den
Ausgangspunkt der Zweiten Internationale, für die Liebknecht mit derſelben Be-
geijterung tätig war, wie für die erſte, Tapſer ſtand er auc) ſeinen Mann bei der
Bekämpfung des Sozialiſtengeſeizes und erlebte deſſen endgültige Beſeitigung, auch
den Sturz ſeines alien Feindes Bismarcc>k.
Nach Erlöſchen des Schandgeſezes wählte er Berlin zum Wohnſitz und wirkte
hier noch rund ein Jahrzehnt mit ungeſchwächter Kraft, geliebt und verehrt von den
Arbeitern, gehaßt und gefürchtet von den Gegnern. Das neue Zentralorgan „Vor-
wärts" redigierte er als Chef mit gewohntem Geſchi>. Auf Varteitagen, Kongreſſen -
und ähnlichen Veranſtaltungen war er ſtets wieder der Hauptredner. Zu ſeinen Lieb
lingsſchöpfungen gehörte die Arbeiterbildungsſchule in Berlin, durch die er ſein
Wort „Wiſſen iſt Macht" für die damalige Verliner Arbeitergeneration in die Tat
umzuſeßen verſuchte. Unter den zahlreichen Schriften, die er noch erſcheinen ließ,
ſeien hervorgehoben: „Die Emſer Depeſche“, „Hochverrat und Revolution“, „Karl
Marx zum Gedächtnis“, „Robert Blum und ſeine Zeit“ und „Zum Jubeljahr der
Märzrevolution“. Sein ſiebzigſter Geburtstag am 29. März 1896 geſtaltete ſich förm-
lich zu einer internationalen Feier. Liebknecht beging ihn in Berlin in körper-
licher und geiſtiger Friſche und bewahrte dieſe bis an ſein Ende, troßdem er noch
manches Böſe durchmachen mußte, ſo den Rrozeß wegen angeblicher Majeſtäts-
beleidigung, der ihm vier Monate Gefängnis einbrachte. Liebknecht verbüßte ſie als
„Tro>enwohner“ d&Fneuen Gefängniſſes in Charlottenburg und verließ es gerade -
am 18. März 1898, dem fünfzigjährigew Gedenktag der deutſchen Revolution, als
eben die Reichstagswahlagitation im vollen Gange war. Als er am ſelben Abend
unangemeldet in einer Wählerverſammlung des ſechſten Kreiſes erſchien und das
Wort ergriſſ, wollte der Jubel kein Ende nehmen. Der große Wahlſieg wurde
ihm eine ſtolze Genugtuung.
Und ſo wirkte er ungeſchwächt weiter, hatte auch noch am Ende ſeines Lebens
die Freude, Italien bereiſen zu dürfen. Im Auguſt 13890 plante er eine Reiſe nach
der Schweiz, kam aber nicht mehr. dazu. Am 6. desſelben Monats nahm er im
Hauſe des „Vorwärts“ an der Sißung der Parteileitung teil, die ſich mit dem bevor-
ſtehenden Parteitag in Mainz beſchäftigte, und übernahm für dieſen das Referat
über die Weltpolitik, wobei aus ſeinem Munde das Wort fiel: „Niemals ſich in
Defenſive drängen laſſen, immer Offenſive!“ Heimgekehrt arbeitete er in ſeiner Woh-
nung in Charloitenburg noch bis nach Mitternacht, ging zu Bett und verſchied in den
Morgenſtunden ſanft und ſchmerzlos inſolge eines Herzſchlags-
Die Todesnachricht erregte gewaltiges Aufſehen. Die Genoſſen wünſchten ihn am
kommenden Gonntag, den 12. Auguſt, zu beerdigen, um eine große De-
monſtration zu veranſtalten, doc< ſchien das wegen der Länge der Zeit
und der heißen Tage nicht angängig. Da aber fanden ſich hilfsbereite Kräfte,
welche den Toten unentgelilich einbalſamierten und dadurd) vor Verweſung ſchüßten,
ſo daß die Beerdigung tatſächlich am Sonntag vor ſich gehen konnte. Dieſe über-
traf denn auch unſere kühnſten Erwartungen, zumal ſich aus faſt allen Ländern
Deputationen der Arbeiterſchaft eingeſtellt hatten. Der Rieſenzug bewegte ſich vom
Trauerhauſe nach dem Zentralfriedhof in Friedrichsfelde. Als hier die Muſik ſpielte:
„Id) hatt einen Kameraden“, und als in der Kapelle Bebel und andere Anſprachen
hielten, ſchämte ſich niemand der Tränen. Liebknechts Grab, auf dem ſich jezt ein
großes Denkmal aus ſchwarzem Marmor mit ſeiner wohlgetroffenen Büſte erhebt,
iſt ver Verliner Arbeiterſchaft dauernd eine Stätte der Weihe geblieben,
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