= Arbeiter-Jugend 219
deit zu dienen durch alle Erfahrungen, die ich an Leib und Seele gemacht habe, Das Denken
für andere war mein Lebensberuf. Wenn ich meine Gedanken nicht ſo niederſchreiben konnte,
wie ich wollte, ſo iſt dies nicht meine Schuld. Wie viele Tauſende habe ich umſonſt gelebt.
Meine Gedanken hätte ich kurz und klar, wenn mir das wirkliche Leben gegönnt und der
Kampf des Daſeins für mich gelöſt wäre, in ſolgenden Werken niedergeſchrieben: Die. Kloſter-
erziehung. Der Wandertrieb, Gegen das Zuchthaus. Die Urreligion. Wilde Menſchen. Die
Organiſation der Arbeit. Das dritte Geſchlecht. Die Volkserziehung. Die vereinigten Staaten
von Curopa, Polizei und Strafreform. Mein Wanderleben. Bücherweisheit und Lebens-
erfahrung. Die Schuld des Selbſtmordes. Der Genuß des Lebens. Das Volk der Denker.
Das Irrenhaus, die moderne Inquiſition. Groß und erhaben ſind meine Gedanken und
Ideale. Die Verhältniſſe haben meine Kraft gebrochen. Den Körper kann man töten, aber
den Geiſt nicht.“
Der alte Landſtreicher ſtete das Buch in ſeinen Ranzen; er war ſchön, als er aus dem
Buch den Abſchnitt „Mein Lebenszwe>“ las. Das Meer hob und ſenkte ſich, die erſten
Lichter wurden angeſte>t. Wir wanderten heim, ich war angefüllt' von dem Schi>ſal des aiten
Mannes. Hunger und Elend gehen an ſeiner rechten und linken Seite, aber er lächelt und
jagt zu ſeinen Genoſſen: „Es werden ſich entfalten kommende Geſtalten.“
In den nächſten Tagen fuhren wir nach Neapel. Feierliche erſte Fahrt auf dem Meer,
tiefe Erſchütterung des am Lande Geborenen. Sturm über das Schiff, das vor Wolluſt tanzt.
Cinfamkeit des Jünglings, ſtürmendes Zuſammenfließen mit den ſchwarzen und grünen
Wellen, große Verbrüderung mit den Stürmen und Sternen, Tanz der Seele: cs gibt
keinen Tod! .
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Aus einer fewarzen E>e.
Aus Krona<h in Oberfranfen wird uns
geſchrieben: In dem ſchönen, oltertümlichen
Vrankenwaldſtädtc<en Kronad), das als Hoch»
burg ver Klerifalen weit und breit „be-
rühmt“ iſt, ſchreitet auch die junge Garde
des Broletariats Schritt für Schritt vor-
wärts. Am 1. Oktober 1921 war es, als
wir zur Gründung unſeres jungen Vereins
ſchritten. Insgeſamt waren wir fünfzehn
Jugendliche, acht Mädchen und ſieben Bur-
ſchen. Die Leitung übertrugen wir einem
älteren Parteigenoſſen, der Mitgründer
unſerer Ortsgruppe war. Die erſten zwei
Monate. hatten wir überhaupt kein eigenes
Heim; unſere wöchentlichen Zuſammenkünfte
hielten wir daher in der Wohnung unſeres
älteren Leiters ab. Als unſer Verein immer
ſtärker wurde, verſchaffte uns unſer Arbeiter-
jefretär Unterkunft im Nebenzimmer eines
Gaſthofes, das als Jugendheim aber auch
nicht geeigner war. Da wir überdies nicht
gern geſehen wurden, blieben wir bald weg,
und halten jeßt unſere Zuſammenkünſte
auf einem öffentlichen Kinderſpielpläßchen
der ſchönen Feſtung Roſenberg ab. Na-
türlich machen unſere Kronacher Spieß-
bürger und hauptſächlich die Schwarzkutten
ſehr ſchiefe Geſichter dazu, denn es klingen
manchmal „rebelliſche“ Lieder von der Feſte
herab auf das ſchöne Kronach, Sie müſſen
es ſic) aber gefallen laſſen, denn das kleine
Häuflein AI. hält feſt zuſammen. Wir
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wünſchten uns nur noch etwas regere Mit-
orbeit von ſeiten unſerer älteren Genoſſen.
Unſere Gruppe, .die jet ſchon 60 Mitglieder
zählt, würde ſich gewiß noch ſtärker ent-
wikeln, wenn wir von der Partei beſſer
unterſtüßt würden. Aber den Mut ver-
lieren wir troßdem nicht, denn je größer die
Widverſtände, deſto rühriger ſchreiten wir
vorwärts>. G. K.
Vom Rauchen und Trinken.
Trotz der vielen Ermahnungen in unſeren
Zeitſchriften ſehen wir zu unſerem Bedattern,
daß aud) bei uns noch geraucht und getrun-
fen wird. Kommt man zum Arzt, ſo ſind
zwei Drittel von den kranken Beſuchern in
dem Wartezimmer junge Leute im Alter von
vierzehn bis achtzehn Jahren. Es handelt
ſich meiſt um Jugendliche, die durch den
Krieg heruntergekommen und unterernährt
ſind. Kaum ſind Fie aber aus dem Hauſe
Des Arztes heraus, [ſo ſte>t ihnen ſchon wie-
der die unvermeidliche Zigarette im Mund.
Und doch dürfte und ſollte die Jugend an
Rauchen und Trinken überhaupt nicht den-
fen, weil in der heutigen ſchweren Zeit die
Ernährung nicht den Gehalt hat, den ſie aus
gejundheitlihen Gründen haben müßte,
Gerade die Jugend, und vor allem wir, die
wir die Vorkämpfer der Zukunft ſein woller,
müßten hier ein gutes Beiſpiel geben. Es
iſt das ein Gebiet, auf dem jeder einzelne
tätig am Wiederaufbau unſeres Volkes mit-