Arbeiter-Jugend | 53
„Nein, es geht noc) nicht!" Unſeren Mädels fehlt doch noch. ſehr viel. Würdigen wir nur
einmal unbefangen die Verhältniſſe! All dieſe jungen Menſchen, die bei uns ſind, müſſen
wir ja erſt zum Sehen und Denken erziehen! Dazu gehört vor allem, daß der Menſch aus
fich heraus geht. Viele unſerer Jungens und Mädels kommen aus bedrückten Berhätiniſſen,
ſiad natürlich einem Dritten gegenüber immer etwas verſchloſſen. Kommt nun ein Burſche
oder ein Mädel neu in unſere Bewegung, ſo können wir wohl kaum von ihnen verlangen,
daß fie gleich Fragen ſtellen oder beantworten oder ſich gar an der Ausfprache nac Vorträgen
beteiligen. Dazu gehört wohl immer eine gewiſſe Schulung. .
Die Mädels vor allem ſtehen hier bei uns auf dieſem Gebiete noch ſchr weit hinter den
Burſchen zurüä, obwohl ihr Mundwerk eigentlich ſonſt nie ruht. Vei unwichtigen Dingen
ſind fie wohl immer obenan, wird aber eine Frage ernſterer Art berührt, dann ſchweigt
alles -- die einen wohl aus Scheu, die anderen, weil ihnen das Verſtändnis für unſere
Ziele fehlt,
Aus all dieſen Gedanken und Erwägungen bin ich zu dem Entſchluß gekommen, Mädchen»
gbende einzuführen. Hier, wo ſich nur Mädels gegenüberſtehen, boffe ich erſt einmal auf
ein „Ausſichherausgehen“. Und dann wollen wir älteren verſuchen, ven jüngeren Mita
ſchweſtern unſere Ziele und Beſtrebungen etwas näherzubringen. Vielleicht, daß ſich auf
dieſer Grundlage ein gedeihliches Zuſammenarbeiten mit unſeren Burſchen ermöglichen läßt.
Vielleicht, daß ſich dann die Mädchenabende, wie unſere Liſa Albrecht in ihrem leßzten Brieſe
ganz richtig ſagte, ſpäter einmal erübrigen.
In den Kleinſtädten und auf dem Lande wird eben vorläufig noch eine gewiſſe Vorarbeit
benötigt.
Mit friſch-fröhlichem „Frei Heil“! | I. R., Gößniz.
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Ein Lohnfampf im Hamburger Hafen vor 25 Jahren.
Von Karl Seidel, |
3 & m 6. Februar 1897 wurde der Streik der Hafenarbeiter und Seeleute Hamburgs, der
" UW die Aufmerkſamkeit und das Intereſſe der ganzen zivilitierten Welt erregte „und an dem
"S/S rund 18000 Streikende beteiligt waren, für beendet erklärt, nachdem ſich die
Streikenden in ihren großen Verſammlungen am Vormittag durch Abſtimmung für die
Wiederaufnahme der Arbeit ausgeſprochen hatten. --- Als Geſchlagene nach ſchwerem eiſfs»
wöchigem Kampf mußten ſich die Hafenarbeiter ihren kapitalkräftigen UnterdrüFern und Atss
beutern wieder zur Verfügung ſteilen.
Am 214. November 1886 waren die Hamburger Gdhanerleute, die hauptſäc<lichfte, das
Löſchen und Laden der Seeſchiffe beſorgende Gruppe der Hamburger Hafenarbeiter, in den
Streik getreten, nachdem die Stauer, ihre Arbeitgeber, ihnen durch ihren Gprecher am Abend
vorher als endgültigen Beſcheid auf ihre ſchon im Frühjahr erhobene Lohnforderung erklärt
hatten: „Wir geben euch 30 Pfennig Lohnerhöhung pro Tag, und damit iſt die Gache ers
tedigt." == Eine ſole „Erledigung“ entſprach nun allerdings nicht dem Willen der Gunners
leute, und ſo kam am nächſten Morgen vie Löſch» und Ladearbeit an den Seeſchiffen zum
Stillſtand. Dieſe entſchloſſene, eile Schouerleute vmfaſſende Tat fand bei den anderen
Gruppen der Hafenarbeiter begeiſterte Zuſtimmung.
Die Arbeitgeber mochten nun gewaltige Anſtrengungen, die ſtreikenden Echnauerlente
durch Gtreifbrecher zu erſetzen. Das hatte zur Folge, daß die anderen Gruppen ver Hafen»
arbeiter aus Golidarität und in Wahrung eigener Intereſſen die Arbeit ebenfalls einftellten,
und als am 2. Dezember die Arbeitgeber die Bildung eines Schiedsgerichts ablehnien, traten
auch die Staatskaiarbeiter einmütig in den Streik. Damit ruhte die Arbeit im Hafen
voliſtändig.
Vie Golidarität feierte in bieſem Kampfe Triumphe wie nie zuvor. Das Erwachen der
Hafenarbeiter aus ihrer tiefen Lethargie und ihr entſchloſſenes Eintreten für ihr Mit»
beſtimmungsrecht bei ver Regelung ihrer Lohn- und Arbeitsbedingungen erweckie die
fräftigſte Sympathie akier Arbeiter des In- und Auslandes. Da die Organiſation der Hafen»
arbeiter bei Nusbruch des Streits ſehr ſchwach war, ja, neben der im Ichre 1890 gegrünvefen
Jentralorganiſation lokale Organiſationsgruppen beſtanden, waren vei Ausbruch ves Gtreits