Full text: Arbeiter-Jugend - 14.1922 (14)

80 Urbeiter-Jugend 
 
das ſie ſich gewidelt, ho>t ſie da, aus dem 
runzligen Geſicht bliäten ihre trüben, blaß» 
blauen Augen ſtumpf und teilnahmlos in das 
Getriebe, und ihre ſteifen, gekrümmten 
Hände erzählen von einem harten, arbeits- 
reichen Leben. 
An ihr vorüber eilen die Menſchen ins 
Kino. Meiſt junges Volk. Hochauf- 
geſchoſſene ſchlenferige Jungen und Mädchen 
mit eleganten Hüten und Stödel- 
Ichuhen. Sie leidet keine Not, dieſe 
Jugend. Mit der Teuerung erhöhen ſic) 
ihre Löhne in Bureau und Fabrik» 
jaal. Sie kennt die ſtrenge Zucht früherer 
Thlichter Zeiten nicht. In dieſem wirren, 
ungeſunden Zeitalter, das alles auf den 
Kopf ſtellt, das Unterſte zu oberſt kehrt, hier 
kraſſen Luxus, dort Hunger und Not gebiert, 
tanzt und tollt ſie durc<s Daſein, ſchwelgt in 
jündhaſt teuren Näſchereien, raucht auslän» 
Diſche Zigaretten und füllt abends die Tanz» 
lokale und Kinos. . . . 
„Feinem, keiner fällt es ein, das fürs Ver» 
gnügen beſtimmte Geld in die Hand der 
grmen Frau zu legen. . . “ =- 
Go leſen wir in Der deutſc<hnationalen 
„Deutſchen Zeitung“. Rührend iſt es, 
daß die „Deutſche Zeitung“ ein Herz ſür die 
armen Frauen, Greiſe und Kriegskrüppel 
Hat, die „vor den Türen um ein Stü> Brot 
betteln“. Die Arbeiterjugend aber mit ele» 
ganten Hüten tänzelt auf Stöckelſchuhen an 
ihnen vorüber. Gewiß, das tun wir, und ſo 
jehen wir aus! 
Fünfzig Mark für ein Lied, 
In Wulferſtedt hat ſich ein nettes Gö» 
ſchichten ereignet, Die Arbeiterjugend hatte 
jich zuſanimengefunden und hat (ſo iſt es ja 
Brauch) dabei auch geſungen. Vor allem 
klangen Kampfeslieder: „Dem Morgenrot 
entgegen.“ Da waren nun aud) gndere 
Leute dabei, die das Singen hörten, und die 
nicht gerade auf unſerer Seite ſtehen. 
Cin Herr V. war ſicher ein beſonderer 
Liederfreund. Er bot uns für unſer Singen 
Geld an. Eine Mark wollte er jedem geben 
Das war doch ein bißchen zu komiſch: für 
Geld ſollten wir ſingen! Den Gefallen taten 
wir dem Herrn V. nicht. 
Da kriegt er plößlich einen anderen Ein» 
fall. „So ſingt doc<h einmal „Deutſchland, 
Deutſchland über ailes“, da geb ic) euch 
50 Mark dafür.“ Und das ſagte er mit einem 
liſtigen Lächeln. Ach, ging da ein Gelächter 
los. Der aute Mann wollte uns wohl durch 
ſeinen Geldſchein dazu bringen, das „Deutſch» 
land“ zu lobſingen? Dabei hätten wir uns 
mächtig lächerlich gemacht, weil wir vorher 
„Die junge Garde des Proletariats“ geſungen 
hatten. Wie kann der Herr V. glauben, 
daß wir uns ein Lied abkaufen laſſen! „Avuſ, 
Gozgialiſten, ſchließt die Reihen“, mußten ſeine 
deutſchnationalen Ohren als Dank für ſolch 
edle Freigebigkeit dann hören. Gleich dar» 
auf war ver Herr V, verſchwunden. =- 
Aus vem Magdeburger „JIugend-Cho*, dem 
Monatsblait der Arbeiterjugendvereine des Boo 
zir?s Mittelelbe. 
 
  
In der „Metallarbeiter-Jugend“ leſen wir: 
Wir haben nicht nur einmal nachgewieſen, 
daß die Handwer?ksmeiſter alle möglichen 
Kniffe anwenden, um die achtſtündige Ar» 
beitszeit zu umgehen. Beſonders die Lehr» 
linge ſind die Objekte ihrer Ausbeutung. 
Jeßt hat ſich einmal ein Gericht damit be- 
Ichäftigen müſſen, ob der Lehrling die Auf- 
räumungsarbeiten in der Werkſtatt während 
der achtſtündigen Arbeitszeit oder danach 
verrichten muß. Hören wir den Tatbeſtand: 
Ein Handwerksmeiſter in Roſto> hatte 
einen Gtrafbefehl erhalten, weil er ſeine 
Werkſtätte nach Ablauf der achtſtündigen Ar- 
beitszeit durd) den Lehrling hatte aufräumen 
laſſen. Der Meiſter beantragte gegen vieſen 
Etrafbeſehl gerichtliche Ent'goidung, mit dem 
Erfolg, daß er vom Amtsgericht freige» 
ſprochen wurde. Der Meiſter hatte zu ſeiner 
Verteidigung geltend gemacht, daß er ſich 
nicht nur in gutem Glauben befunden habe, 
ſondern daß auch Innung und Handwerks- 
kammer auf demſelben Gtandpunkt ſtänden 
 
wie er, daß beide Handwerksvertretungen der 
Anſicht ſeien, die Aufräumung der Werkſtätte 
müſſe noch: Ablauf ver achtſtündigen Arbeits» 
zeit vor ſich gehen, um den Gehilfen am 
nächſten Tage wieder Gelegenheit zu geben, 
ihre Arbeitstätigkeit fortzuſezen. Cine Auf» 
räumung der Werkſtätte innerhalb der acht» 
ſtündigen Arbeitszeit hindere Meiſter und 
Gehilfen an der ordnungsmößigen Erledi- 
gung ihrer Obliegenheiten. 
Gegen das erſtinſtanzliche Urteil legte die 
Etaatsanwaltſchaft Berufung ein und machte 
geltend, daß das Urteil der erſten Inſtanz 
von irrigen Vorausſezungen und Anſchau- 
ungen ausagehe. Es ſei nicht Sache des Ges 
richts, nachzuprüfen, o99 es proktiſc) und 
empfehlenswert ſei oder im Intereſſe des 
Hanvwerks liege, die Werkſtätte nach Ablauf 
der achtſtündigen Arbeitszeit durd die Lehr- 
linge aufräumen zu laſſen. Auch komme 
nicht in Frage, ob im Lehrvertrag eine der- 
artige Verpflichtung für die Lehrlinge aus5e- 
vrüclich feitgelegt ſei. Maßgebend allein ſel 
die Berordnung über vie ahlſtündige Arbeits-
	        
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