Full text: Arbeiter-Jugend - 14.1922 (14)

BE -... Arbeiter-Jugend 
Deutſchlands und ging mit Vorliebe gegen die freiheitlich geſinnten 1. Studentenkreiſe 
vor. Liedpknecht hatte wiederholt unter ihren Verfolgungen zu leiden und lernte 
bald einſehen, daß für einen Mann ſeiner Geſinnung keine Ausſicht auf einen aka» 
demiſchen Lehrſtuhl beſtand. Schon ſchi>te or ſich an, nach Amerika auszuwandern, 
als er durch zufällige Umſtände bewogen wurde, ſtatt deſſen in der Schweiz ſeinen 
Aufenthalt. zu nehmen. Hier wirkte er als Lehrer und. beteiligte ſich gründlich am 
dſfentlichen Leben, namentlich, als im Jahr 1848 der Sturm der Revolution von 
Frankreich aus durch Europa brauſte. Seine Rednergabe bewährte er vor der Oef- 
jentlichfeit zuerſt in einer großen Verſammlung der „patriotiſchen“ Deutſchen in 
Zürich, in der ein Profeſſor Bobrich Stimmung für die deutſche Flottenbewegung 
zu machen ſuchte. Liebknecht trat kühn gegen ihn auf und vertrat die Sache des 
Republikaniſchen Aktionsvereins mit ſolchem Geſchi>, daß eine Reſolution in ſeinem 
Sinne mit großer Majorität angenommen wurde. Doch ließ er es nicht beim Reden 
bewenden, ſondern ging nach Deutſchland und kämpſte als Freiſchärler in Baden für 
die Republik. Bei Säcingen geriet er in Gefangenſchaft, ſaß in Freiburg acht 
Monate in Unterſuchungshaft und machte hier die Bekanntſchaſt der noch ſehr 
jungen Tochter des Gefängnisinſpektors, Erneſtine Landolt. Zwiſchen beiden erwuchs 
eine herzliche Zuneigung, die ſpäter zur glücklichen Ehe führen ſollte. 
Der vorläufige Sieg der freiheitlichen Bewegung trug dazu bei, daß Lieb» 
knecht und die übrigen Geſangenen in der Gerichtzverhandlung im Mai 1849 unter 
dem Jubel der Zuhörer freigeſprochen wurden. Sofort warf ſich Liebknecht wieder in 
vie Bewegung, machte jetzt ober trübe Erfahrungen, auch im eigenen Lager, inſofern 
der republikaniſche Diktator Brentano ihn als des Verrats verdächtig feſtnehmen 
ließ. Nach dem Sieg der Reaktion flüchtete Liebknecht wieder in die Schweiz und 
jetzte ſeine agitatoriſche Tätigkeit fort, ſo als Leiter des Genfer Arbeitervereins, 
wurde aber alsbald verhaftet und 1850 zwar vor Gericht freigeſprochen, aber aus 
ver Schweiz ausgewieſen und nach Frankreich geſchofft. Doc guch die franzöſiſchen 
Behörden wollten von dem gefährlichen Geſellen nichts wiſſen und ließen ihn mit 
Zwangspaß nach London gehen. 
Hier waren ihm endlich einige Jahre des Friedens beſchieden, und er konnte 
dur) Unterricht, Schriftſtellerei, Ueberſetzungen uſw. ſich mühſam ſein Brot verdienen. 
Ein großer Gewinn für ihn war, daß Karl Marx ihm gaſtlich ſein Haus öffnete. 
Bei Marx machte Liebknecht auf philoſophiſchem, politiſchem und volkswirtichaſt- 
lichem Gebiet eine zweite Studienzeit durch, die ihn befähigte, ſpäter als der her- 
vorragendſte Vertreter der Marxiſtiſchen Ideen in Deutſchland zu wirken. Das freund» 
liche Familienleben, das er bei Marx kennen lernte, beſtärkte ihn auch in ſeinem 
Verlangen, einen eigenen Herd zu begründen. So veranlaßte er Erneſtine Landolt, 
ihm nad) Londcn zu ſolgen, und nahm ſie zum Weibe., Von den Kindern, die ſic ihm 
gebar, wuchſen die Töchter Alice und Gertrud heran. 
So ſicher ſich Lieblnecht auch in England fühlte, ſo 30g es ihn hoch wieder nad) 
Der deutſchen Heimat. Im Jahre. 1862 kehrte er dorthin zurü> und fand in Berlin 
Beſchäftigung an der Redaktion der „Norddeutſchen Allgemeinen Zeitung“. Bei der 
Erwägung, wie ſehr das Blatt ſpäter ins Fahrwaſſer der Reaktion geraten iſt, mag 
es manchen befremden, daß ein Mann wie Liebknecht an ihm gewirkt hat. Tat- 
ſächlich aber hatte die „Norddeutſche Allgemeine Zeitung“ unter Leitung von Auguſt 
Braß damals noch eine hochgradig demokratiſche Färbung. Als Braß aber bald ins 
Lager Bismard>s überging, ſchied Liebknecht aus der Redaktion aus. Der Arbeiter- 
bewegung, die jeßzt auch in Deutſchland einen großen Auſſchwung nahm, gab er ſid) 
mit regem Eifer hin, wurde Mitglied des Allgemeinen Deutſchen Arbeitervereins,
	        
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