Full text: Arbeiter-Jugend - 15.1923 (15)

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mit der Technik allein nicht getan iſt. Der Hunger nach wahrer Menſchheitskultur 
erwachte, und die Menſchen werden ſich der Wahrheit des Bivelworts bewußt: „Was 
nüßte es dem Menſchen, wenn er die ganze Welt gewönne, aber Schaden hätte an 
jeiner Seele?“ 
Aus dieſer Erkenntnis heraus erwuchs das Ringen um Menſchentum und Men» 
Iihenwürde, um Kultur und Perſönlichkeit. Beſonders in den proletariſchen Schichten 
ſeßte ſic) immer mehr die Ueberzeugung durch, daß auc der Arbeiter eine Seele 
habe, auf die Rüſicht genommen werden müſſe, daß er ein Menſch ſei mit menſch- 
ligen Trieben und Bedürfniſſen, und nicht ein ſeelenloſer Automat, das Teilſtück 
einer Maſchine. Zumal in der Jugend des Proletariats, deren unverbrauchte Lebens» 
kraft nach Befriedigung dürſtet, regte ſich eine Sehnſucht nach Perſönlichkeitswerten. 
All das Gärende, Drängende, noc< Unabgeklärte, das wir in der heranwachſenden 
Iugend beobachten, iſt weiter nichts als eine Revolution ver Seele, in der 
der Wille zum Ausdru> kommt, das Leben neu zu geſtalten und neue Arbeits» 
bedingungen zu ſchaſſen, in denen auch die Seele ihr Recht bekommt. 
Eine neue Wiſſenſchaft, die Pſy<hoted<hnik, will dieſe Aufgabe löſen, indem 
ſie eine Verbindung herſtellt zwiſchen der Technik, der Wiſſenſc<aft von der Arbeit, 
und der Phyſio-Pſychologie, der Wiſſenſchaſt vom lebenden Menſchen. Sie ſteht noch 
in den Anfängen und macht erſt ſchüchterne, taſtende Verſuche, aber zweiſellos ſteht 
ihr eine große Zukunft bevor. Je mehr ſich die Erkenntnis durchringt, daß der 
arbeitende Menſch kein Mechanismus, ſondern ein lebenspoller Organismus iſt, daß 
das Arbeiten keine rein mechaniſche Tätigkeit iſt, ſondern zugleich auch geiſtige und 
ſeeliſche Kräfte in Bewegung ſetzt, daß alſoderArbeiterzunächſt Menſch 
und dann erſt Arbeiter iſt, je mehr dieſes neue Wiſſen vom Weſen der 
Arbeit und des Arbeiters Gemeingut wird, deſto eher wird auch ein neues Gewiſſen 
erwadjen, das es als ein Verbrechen empfindet, den Arbeiter nicht als Menſchen, 
ſondern lediglic) als Ausbeutungsobjekt zu werten und zu behandeln. Dieſes neue 
wirtſchaftliche Gewiſſen, ein Erzeugnis des wachſenden Einfluſſes der Arbeiterklaſſe, 
iſt beruſen, dem kapitaliſtiſchen Raubbau an Menſchenkraft, Menſchengeſundheit und 
Menſchenglü> ein Ende zu machen. Es wird um ſo ſtärker unſer Wirtſchaftsleben 
beeinſluſſen, je mehr die Erkenntnis wächſt, daß nur ein körperlich geſunder, geiſtig 
friſcher und ſeeliſch glülicher Menſch fähig und geneigt iſt, ein gutes Stü> Arbeit 
zu liefern. Sollen unſere Arbeitsleiſtungen quantitativ geſteigert und qualitativ auf 
Die Höhe gebracht werden, ſo müſſen wir das Verhältnis zwiſchen Menſch und -Arbeit 
und die Wirkung der Arbeit auf den Menſchen unterſuchen, wie dies die Vſycho- 
technik erſtrebt. Zum Glück für das Proletariat ſind ſchon zahlreiche Männer der 
Theorie und der Praxis am Werk, um dieſes neue, aber dankbare Gebiet zu bear- 
beiten. Und es läßt ſich hoffen, daß der erwartete Erfolg nicht ausbleiben wird. 
Zweifellos hat der moderne „Proletarier ein Anrecht darauf, daß bewußt und 
planmäßig Rüdſicht genommen wird auf ſein körperliches, geiſtiges und ſeeliſches 
Wohlbeſinden. Es muß mit der kapitaliſtiſchen Auffaſſung gebrochen werden, daß es 
im Wirktſchaftsleben lediglich darauf ankomme, hohe Erträge herauszuwirtſchaften 
und hohe Ueberſchüſſe zu erzielen, unbekümmert darum, wie der Arbeiter dabei 
wegkommt. Die Möglichkeit hierzu iſt heutzutage gegeben. Einerſeits iſt. der Pro» 
letaricer nicht mehr der willenloſe Gklave eines Ausbeutors, ſteht vielmehr dem 
Unternehmer gleichberechtigt gegenüber, anderſeits ſteiat auch) die Einſicht, daß eine 
hohe Wirtſchaftlichkeit auf dem pflichtgemäßen, gewiſſenhaften, ſorgſamen Arbeiter 
beruht, und daß ein ſolc<es Arbeiten nur möglich iſt, wenn Luſt und Liebe zur 
Arbeit, eine innere Anteilnahme an der Tätigkeit, die Triebkraſt bildet. Dieſe innere 
Arbeitsfreude zu erzevgen, Arbeitsfreude und Gehaffensluſt, Verantworilichkeits»
	        
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