126 Arbeiter-Jugend
Retter des Staates.
BT» ährend des militäriſchen Ausnahmezuſtandes haben wir in Deutſchland böſe Dinge
j Herlebt, haben immer wieder ſehen müſſen, daß manche Reichswehrſtellen. ſich in
dF unheilvoller Weiſe um politiſche Dinge vhefümmerten. Von den unglaublichen
Roheitsakten bei dem Einmarſc< der Reichswehr in Sachſen bis zu den Verboten ſozialiſtiſcher
Zeitungen und pazifiſtiſcher Verſammlungen durch übereifrige Wehrkreiskommandeure bilden
alle Handlungen eine Kette ſc<lagender Beweiſe für die Unmöglichkeit, politiſche Konflikte
durh militöriſche Stellen zu ſchlichten.
Wir wollen dieſe in den lezten Monaten in der ſozialiſtiſchen Preſſe jo oft gemachte
Veſtſtellung hier nicht des nüberen begründen, ſondern uns begnügen, eine luſtige Geſchichte,
in der eine Gruppe unſeres Verbandes eine Rolle ſpielt, als Beweis anzuführen, Die „Eßlinger
Volkszeitung“ berichtet:
„Fommen da an einem Sonntag während des Ausnahmezuſtandes eine Anzahl junger
Arbeiter und Arbeiterinnen zuſammen, um nach des Werktags Mühen in dumpfem Fabrik-
ſaal wieder einmal hinauszuwandern in die ſchöne freie Natur! . . . Sozialiſtiſche
Arbeiterjugend war es. Wie ſchon öfters, führten ſie als Symbol ihrer Ideale
ein rotes Fähnlein mit ſid. Ihr Weg führte die jungen Leute zufälligerweiſe an der
Kaſerne vorbei und ſiehe da! Yls ſie eben nach Serachy abbiegen wollten, ſprang ein
Menſc< in höchſter Erregung auf das rote Fühnlein zu und rief: „Mein Name iſt Leuts
nant Müller, die Fahne iſt beſchlagnahmt!" Damit hatte er ſchon das Fähnlein
dem verblüfft daſtehenden „Fahnenträger“ entriſſen und dem auf ſeinen Befehl herbei-
geeilten Wachtpoſten übergeben. Als dann einige Jugendgenoſſen in höflichem Tone nach
dem Grund dieſer widerrechtlichen Enteignung fragten, ſchrie er ſie an: „Die kommwu-
niſtiſ<e Jugendorganiſation iſt verboten!" Den Einwand, daß er es nicht mit der
kommuniſtiſchen, ſondern mit der ſozialiſtiſchen Jugend zu tun habe, tat der Herr Leut-
nant in Zivil nur mit einer abfälligen Handbewegung und den Worten ab: „A<, das
iſt dasſelbe!" Es war ein Wunder, daß ein Jugendgenoſſe, der zufällig rote Haare
hatte, nicht auch von Leutnant Müller beſchlagnahmt wurde.
Das ſtaatsgefährliche Fähnlein verſchwand dann in der Wachtſtube, Leutnant Müller
im Kaſino, und unſere Jugendgenoſſen zogen troß des empörenden Vorfalls fröhlich weiter
mit dem Vorſaßz im Herzen, in Zukunft mit noc< größerem Eifer an die Arbeit zu gehen
Und unſere Ideen weiterzutragen in die Reihen der arbeitenden Jugend!“
Unſere Jugendgenoſſen legten ſelbſtverſtändlich gegen die ungerechtfertigte „Enteignung“
Verwahrung ein, und wenige Tage ſpäter berichtete unſer Parteiblatt in Eßlingen ſchmunzelnd,
daß Herr Leutnant Müller die Polizei beauftragt habe, unſeren Genoſſen den Wimpei wieder
zuzuſtellen und ihnen gleichzeitig zu eröffnen, daß der Herr Leutnant ſich entſchuldige. Er
habe ſich in einem Irrtum befunden, den er damit erklärte, daß er ſtatt Sozialiſtiſce Arbeiter-
jugend „Süddeutſche Arbeiterjugend“ verſtanden habe, und dieſe Organiſation ſei doch
kommuniſtiſch.
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Wenn man dieſen Vorfall ſo der tatſächlichen Unwiſſenheit des Herrn Leutnants zugute
halten kann, jo muß man öhnliche Bemühungen bayeriſcher Behörden, ihre Befugniſſe
mit aller Kraft gegen ſozialiſtiſche Organiſationen und Verſönlichkeiten anzuwenden, um den
Staat vor dem „Marxismus“ zu retten, auf das Konto „fanatiſcher Verblendung“ buchen.
Iedenfalls kann man folgendes Erlebnis unſerer Dresdener Genoſſen nur unter dieſem
Geſichtswinkel betrachten. Die Mäürznummer des „Jugend-Ccho“ in Dresden berichtet:
„on unſerer Helferverſammlung vom 26. Januar 1924 beſchäftigten wir uns auch mit
dem beſchämenden „Hinkemann“-Skandal im Dresdener Schauſpielhaus und nahmen fol»
gende Eniſchließung an:
„Die Sozialiſtiſche Arbeiterjugend Groß Dresdens iſt empört über die Kreije, die ſich
nicht ſcheuen, Jugend ſür ihre dunklen Zwecke zu mißbrauchen. Sie wendet ſich mit Ab»
Icheu von den Organiſationen und Kreiſen, die den Menſchen Ernſt Toller und ſein Work
„Hinkemann“, die Arbeit der ſchauſpieleriſchen Leitung und der ſchauſpieleriſchen Kräfte des
Sächſiſchen Starutsthvaters auf die gemeinſte Urt in den Sthmuß zu ziehen verſuchen.