Full text: Arbeiter-Jugend - 16.1924 (16)

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Notwendige Vertiefung. 
„Der Reichsjugendtag in Nürnberg mit ſeinen 
Sünfzigtauſfend hat die Wucht und Kraft 
unſerer Bewegung noc außen gezeigt, Biele- 
feld und Weimar weit überholt, „Was iſt 
mit dieſer Stärke zu tun? Was ergibt ſich 
für den Ulltag?"“ So fragt Maz Weſtphal 
im Dktoberheft, 
Wir ſind e'ne Maſſenbewegumg und wollen 
es bleiben. Keine Ausleſe. Uns liegt daran, 
möglichſt viele Arbeiterjungen und -mädels 
der geiſtigen, körperlichen und ſittlichen Ver- 
kümmerung zu entreißen, ihnen die Freud» 
loſigfeiten unſerer Tage überwinden zu 
heijen und Jie mit Hoffnungen und Zdealen 
zu erfüllen. =- Jede Maſſenbewegung bat, 
C<hwäödchen. Zu zahlenmäßigem Wachstum 
ehdrt fortſchreitende Durchgeiſtigung der 
itglieder, ſonſt verflachen wir. . 
Das kann nicht allein von der Verbands» 
führung „betr'eben“ werden; die Auſgabe 
erwächſt jedem Mitglied. Der Hauptvorſtand 
muß natürlich weiterhin großzügig ar- 
beiten. (Die bisher geſchaffenen Einrich- 
fungen erfüllen jeden Jugendlichen mit 
Freude, geſchah doch alles aus eigener Kraft1) 
Der Arbeiterjugend v erlag muß weiter 
ausgebaut werden. Der Broſchürenvertrieb 
muß umfaſſenderen Arbeiten weichen. Bücher 
wie die von Engelhardt, Korn, Abrgham 
u. 0, nußen unſeren Mitgliedern mehr und 
ſtärken das Verbandsanſehen innerhalb der 
geſamten Jugendbewegung. Wichtige Fragen 
edürfen noch der Klärung. Id) erinnere 
nur an das Geſchlechtsproblem. Die ge» 
ſhlehtlichen Nöte unſerer Zugend ſchreien 
nah Rat und Hilfe. Die Jungen und Mäödel 
finden ſich meiſt nicht zurecht unter den 
Büchern guter und ſchlimmer Aufklärung, 
Unſer Verlag ſollte tüchtige Sexualpädagogen 
zum Schreiben auffordern, dabei die ver- 
Ihiedenen Geſichtspunkte beleuchten laſſen. 
Das bisherige SEchr'fthen von Ha>mac> iſt 
natiirlich vollkommen unzulünglid). 
Genug jedoch; die Reichskonferenz wird .die 
weiteren Aufgaben der Organiſation ums=- 
reißen. --“ „Was ergibt ſich für den Alltag?“ 
Hier haben wir uns ſelbſt zu kontrol» 
lieren. Laſſen wir uns nicht durch Zahlen 
täuſchen! Der Weg wahrhafter Größe geht 
in der Stille, in alltäglicher Steigerung und 
in Arbeit an uns ſelbſt. Wie ſieht's da aus? 
Nicht nur bei uns, ſondern in anderen Teilen 
der übrigen Jugendbewegung. Mit einem 
Saß geſagt: wir leiden an DODber- 
flächlichkeit. Da hilft kein Vertuſchen. 
Finden wir bei der Mehrheit der 16: bis 
20jährigen ein ernſtes, perſönliches Ringen 
und Wachſen? (Die Jüngſten berühre ich 
  
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Arbeiter-Jugend 
 
 
 
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nicht, -- denn ſie holen ja erſt Anregung bei 
uns, ihre Tage gehören vorwiegend dem 
Tanz und Spiel.) Wie wenige ſind's, von 
denen Max Barthel ſingt: 
„Undere aber, hod) in der einſamen 
Kammer, 
jorſchen in Büchern bei leiſe fladernbem 
icht, 
bis ſie ihn finden, den unbarmherzigen 
Hammer, 
der die Ketten der Unwiſſenhe't zer» 
ſchmettert und bricht.“ 
Wir treffen tiptop äußerlich reformierte 
Kerle. Wenn ſie von weitem kommen, ahnt 
man einen neuen Menſchenſc<lag. Wehe 
ober, wenn man mit ihnen ſpricht. Man er- 
Ichrikt über den geiſtigen Kern! Einige Volks» 
lieder, Vol?stänze, Lauten und praktiſche 
Kleidung =- das nennen ſie die „neue Kultur". 
Mit faſt phariſäiſchem Stolz gehen ſie an 
dem übrigen „unreformierten Vol?“ vor» 
über. „Idc danke meinem Gott, daß ich weht 
bin wie jene!" „Die gegenwärtige Welt be- 
lächeln wir nur noch.“ Bitte beſcheidener! 
„Yeber der Gelbſtherrlichkeit der Jugend 
ſteht noch e'nes, was höher iſt als ſie -- nicht 
die Gelbſtherrlichkeit des Alters, die iſt ihr 
gleichgeordnet -- wohl aber die Geſamtheit 
des menſchlichen Lebens.“ (Viktor Engel» 
hardt.) 
Wir ſind weiterhin aus der Ueberſchäßung 
der Wiſſenſchaften in eine Geringſchüßung 
geraten. Beweis? Die geiſtigen Grundlagen 
werden aus Broſchüren geſogen, die irgend 
welche Gebiete nur antippen. Statt der 
Werke unſerer Denker und Führer werden 
nach „verfürztem Verfahren“ gleich die Bio» 
grophien oder Kritiken zur Hand genommen; 
„das iſt e'nfacher und geht ſchneller“. Wie 
vereinzelt ſtehen diejenigen, die ihre Welt» 
und Lebensanſchauung auf feſten Grund zu 
bauen verſuchen! | 
Wenmy wir aber ſiegen wollen, bleibt uns 
das tiefe Cindringen nicht erſpart. Seien 
wir uns bewußt: Wenn das Proletariat und 
ſeine Jugend das kommende Jahrhundert ges 
ſtalten wollen, müſſen wir ungeahnte, ganz 
neue Kräfte entwieeln. Die können nur aus 
gefeſtigter Welt - und Lebensanſchauung 
quellen. Es darf ſic) darum niemand e'n- 
bilden, in den wenigen Jugendabenden ſeine 
Wiſſenslü>en ausfülben) zu können. Nur An- 
regungen, Austauſch und Richtlinien könn2n 
gegeben werden. Wir müſſen uns zu Hauſe 
„auf die Hoſen ſetzen“ und in irgendwelche 
Wiſſensgebiete furchtlos eindringen. Mag es 
Geſchichte, Bhiloſophie Geſellſchaftswiſſens- 
Ichaft, klaſſiſche oder gegenwärtige Literatur, 
Politik, Wirtſchaft (vor allem Studium der
	        
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