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Notwendige Vertiefung.
„Der Reichsjugendtag in Nürnberg mit ſeinen
Sünfzigtauſfend hat die Wucht und Kraft
unſerer Bewegung noc außen gezeigt, Biele-
feld und Weimar weit überholt, „Was iſt
mit dieſer Stärke zu tun? Was ergibt ſich
für den Ulltag?"“ So fragt Maz Weſtphal
im Dktoberheft,
Wir ſind e'ne Maſſenbewegumg und wollen
es bleiben. Keine Ausleſe. Uns liegt daran,
möglichſt viele Arbeiterjungen und -mädels
der geiſtigen, körperlichen und ſittlichen Ver-
kümmerung zu entreißen, ihnen die Freud»
loſigfeiten unſerer Tage überwinden zu
heijen und Jie mit Hoffnungen und Zdealen
zu erfüllen. =- Jede Maſſenbewegung bat,
C<hwäödchen. Zu zahlenmäßigem Wachstum
ehdrt fortſchreitende Durchgeiſtigung der
itglieder, ſonſt verflachen wir. .
Das kann nicht allein von der Verbands»
führung „betr'eben“ werden; die Auſgabe
erwächſt jedem Mitglied. Der Hauptvorſtand
muß natürlich weiterhin großzügig ar-
beiten. (Die bisher geſchaffenen Einrich-
fungen erfüllen jeden Jugendlichen mit
Freude, geſchah doch alles aus eigener Kraft1)
Der Arbeiterjugend v erlag muß weiter
ausgebaut werden. Der Broſchürenvertrieb
muß umfaſſenderen Arbeiten weichen. Bücher
wie die von Engelhardt, Korn, Abrgham
u. 0, nußen unſeren Mitgliedern mehr und
ſtärken das Verbandsanſehen innerhalb der
geſamten Jugendbewegung. Wichtige Fragen
edürfen noch der Klärung. Id) erinnere
nur an das Geſchlechtsproblem. Die ge»
ſhlehtlichen Nöte unſerer Zugend ſchreien
nah Rat und Hilfe. Die Jungen und Mäödel
finden ſich meiſt nicht zurecht unter den
Büchern guter und ſchlimmer Aufklärung,
Unſer Verlag ſollte tüchtige Sexualpädagogen
zum Schreiben auffordern, dabei die ver-
Ihiedenen Geſichtspunkte beleuchten laſſen.
Das bisherige SEchr'fthen von Ha>mac> iſt
natiirlich vollkommen unzulünglid).
Genug jedoch; die Reichskonferenz wird .die
weiteren Aufgaben der Organiſation ums=-
reißen. --“ „Was ergibt ſich für den Alltag?“
Hier haben wir uns ſelbſt zu kontrol»
lieren. Laſſen wir uns nicht durch Zahlen
täuſchen! Der Weg wahrhafter Größe geht
in der Stille, in alltäglicher Steigerung und
in Arbeit an uns ſelbſt. Wie ſieht's da aus?
Nicht nur bei uns, ſondern in anderen Teilen
der übrigen Jugendbewegung. Mit einem
Saß geſagt: wir leiden an DODber-
flächlichkeit. Da hilft kein Vertuſchen.
Finden wir bei der Mehrheit der 16: bis
20jährigen ein ernſtes, perſönliches Ringen
und Wachſen? (Die Jüngſten berühre ich
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Arbeiter-Jugend
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nicht, -- denn ſie holen ja erſt Anregung bei
uns, ihre Tage gehören vorwiegend dem
Tanz und Spiel.) Wie wenige ſind's, von
denen Max Barthel ſingt:
„Undere aber, hod) in der einſamen
Kammer,
jorſchen in Büchern bei leiſe fladernbem
icht,
bis ſie ihn finden, den unbarmherzigen
Hammer,
der die Ketten der Unwiſſenhe't zer»
ſchmettert und bricht.“
Wir treffen tiptop äußerlich reformierte
Kerle. Wenn ſie von weitem kommen, ahnt
man einen neuen Menſchenſc<lag. Wehe
ober, wenn man mit ihnen ſpricht. Man er-
Ichrikt über den geiſtigen Kern! Einige Volks»
lieder, Vol?stänze, Lauten und praktiſche
Kleidung =- das nennen ſie die „neue Kultur".
Mit faſt phariſäiſchem Stolz gehen ſie an
dem übrigen „unreformierten Vol?“ vor»
über. „Idc danke meinem Gott, daß ich weht
bin wie jene!" „Die gegenwärtige Welt be-
lächeln wir nur noch.“ Bitte beſcheidener!
„Yeber der Gelbſtherrlichkeit der Jugend
ſteht noch e'nes, was höher iſt als ſie -- nicht
die Gelbſtherrlichkeit des Alters, die iſt ihr
gleichgeordnet -- wohl aber die Geſamtheit
des menſchlichen Lebens.“ (Viktor Engel»
hardt.)
Wir ſind weiterhin aus der Ueberſchäßung
der Wiſſenſchaften in eine Geringſchüßung
geraten. Beweis? Die geiſtigen Grundlagen
werden aus Broſchüren geſogen, die irgend
welche Gebiete nur antippen. Statt der
Werke unſerer Denker und Führer werden
nach „verfürztem Verfahren“ gleich die Bio»
grophien oder Kritiken zur Hand genommen;
„das iſt e'nfacher und geht ſchneller“. Wie
vereinzelt ſtehen diejenigen, die ihre Welt»
und Lebensanſchauung auf feſten Grund zu
bauen verſuchen! |
Wenmy wir aber ſiegen wollen, bleibt uns
das tiefe Cindringen nicht erſpart. Seien
wir uns bewußt: Wenn das Proletariat und
ſeine Jugend das kommende Jahrhundert ges
ſtalten wollen, müſſen wir ungeahnte, ganz
neue Kräfte entwieeln. Die können nur aus
gefeſtigter Welt - und Lebensanſchauung
quellen. Es darf ſic) darum niemand e'n-
bilden, in den wenigen Jugendabenden ſeine
Wiſſenslü>en ausfülben) zu können. Nur An-
regungen, Austauſch und Richtlinien könn2n
gegeben werden. Wir müſſen uns zu Hauſe
„auf die Hoſen ſetzen“ und in irgendwelche
Wiſſensgebiete furchtlos eindringen. Mag es
Geſchichte, Bhiloſophie Geſellſchaftswiſſens-
Ichaft, klaſſiſche oder gegenwärtige Literatur,
Politik, Wirtſchaft (vor allem Studium der