Full text: Arbeiter-Jugend - 16.1924 (16)

974 "TT Arbeiter-Jugend 
 
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lands in den Bölkerbund ſordert. Die Fraktion hat dieſen Beſchluß mit allem Nach- 
druFs im neuen Reichstag vertreten, doch konnte ſich die Regierung Marx dazu nicht 
aufraffen. . 
Wie groß dieſer Fehler war, das ſehen wir jezt nach den erſten Sißungstagen 
in Genf, die ihren Höhepunkt erreichten durc) die Reden Macdonalds und Herriots. 
Beſonders der Chef der engliſchen Arbeiterregierung wies in ſeiner Rede auf die 
wahren Aufgaben des Völkerbumdes hin umd zeigte den wirklichen Weg der Ver- 
ſtändigung. Schiedsverfahren, Friedenskonſerenz, Abrüſtung und -- das Verlangen 
nad) ſofortigem Eintritt Deutſchlands in den Bund, waren die Nrobleme ſeiner 
Rede. Die Stimmung der Vollverſammlung kam zum Ausdru>, als Macdonald, 
von ſtürmiſchem Beifall umrauſcht, die Tribüne verließ. Am nächſten Tage war es 
Herriot, der, wenn auch etwas vorſichtiger, Macdonalds Forderungen unterſtrich. 
Die Rede Herriots zeigte die große Wandlung der ſranzöſiſchen Politik, ſeit Herriot 
die Geſchie Frankreichs leitet. 
Jeßt hat in letzter Stunde die deutſche Regierung das Wort, um den Eintritt 
Deutſchlands in den Bund der Völker zu vollziehen und um damit zum Ausdru> zu 
bringen, daß jie es ernſt meint mit der Verſtändigung und Verſöhnung. Die 
deutſche Außenpolitik ſteht damit vor einer wichtigen Entſcheidung. Soll die 
Rolitik der Halbheit, die bisher die deutſchen Miniſter des Bürgertums auszeichnete, 
wieder triumphieren? Dann muß das Deutſche Volk befragt werden, das in ſeiner 
großen Mehrheit ſich in ſtiller Arbeit ſeine Zukunft errichten will und damit auch 
keine Gelegenheit vorübergehen laſſen wird, dieſen Willen zum Ausdru>k zu bringen. 
Verſagt die Regierung in dieſer Frage, dann wird bei Neuwahlen ihre Haltung zum 
Bölkerbunde eine weſentliche Rolle ſpielen und die Genfer Parole Macdonalds wird 
in Deutſchland ihre Wirkung nicht verſehlen und wird denen zugute kommen, die 
ſich in Deutſchland mit aller Kraft für den Beitritt eingeſezt haben: Der deutſchen 
Sozialdemokratie. 
 
 
Bolſchewismus und Krieg. 
Von E. Diederichs. 
HK ie Klaſſenkampftheorie von Karl Marx vermittelt dem modernen Proletariai 
die Erkenntnis ſeiner eigenen Klaſſenlage im Ablauf der geſchichtlichen Ent» 
/ widlung. Das Proletariat als immer noch anwachſende Mehrheit innerhalb 
der ?apitaliſtiſchen Geſellſchaft, als geſchichtlich vorläufig letzte Klaſſe, wird und 
muß im Lauf der Entwicklung die herrſchende Minderheit, die kapitaliſtiſche Klaſſe, 
ſtürzen und an ihre Stelle die ſozialiſtiſche, klaſſenloſe Geſellſchaft ſeen. In dieſer 
werden politiſche un d ökonomiſche Gleichberechtigung herrſchen; in ihr werden Frei 
heit, Gleichheit, Brüderlichkeit nicht bloße Phraſen oder rein ideale Forderungen 
jein, ſondern Tatſachen immer lebendigeren Inhalts. 
Die Vorausſezung eines Sieges der ausgebeuteten Klaſſe über den Jahr- 
hunderte alten Kapitalismus, der troß aller Erſchütterungen noc<h über gewaltige 
ideologiſche und materielle Machtmittel verfügt, die Möglichkeit revolutionärer Ums 
wäölzungen im Sinne des Sozialismus ſeßt in erſter Linie eine induſtriell 
entwidelte Wirtſchaft voraus, in der die unterdrückte Klaſſe zunächſt ſchon rein 
zahlenmäßig die Mehrheit innerhalb des Rahmens der Geſamtwirtſchaft agusmacht. 
Darüber hinaus iſt natürlich erforderlich! Reife, Klarheit und Einigkeit über die 
Mittel und Wege zu Kampf und Sieg, 
Es beſteht alſo von vornherein ein gewichtiger Unterſchied zwiſchen bürgerlichen 
Revolutionen und proletariſchen Revolutionen. In bürgerlichen Revolutionen löſt 

	        
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