Arbeiter-Jugend ' 39
Selige Jugend.
Ein Stü> erleſener Proſa, aus Thomas Manns neueſter, im Dezemberheft
der „Neuen Rundſchau“ (S. Fiſcher Verlag) veröffentlichter Novelle „GScnee“,
Ein im Gehneeſturm verirrter, halb erſtarrter Gkiläufer, Hans Caſtorp, hat
dieſe Viſion:
F& Ja lag das Meer -- ein Meer, das Südmeer war das, tieſ-tieſblau, von Silberlichtern
F bliend, eine wunderſchöne Bucht, dunſtig offen an einer Seite, zur Hälfte von immer
Ez matter blauenden Bergzügen weit umfaßt, mit Inſeln zwiſchenein, von denen Palmen
ragten, oder auf denen man kleine, weiße Häuſer aus Zypreſſenhainen leuchten ſah. OD, o,
genug, ganz unverdient, was war denn das für eine Seligkeit von Licht, von tiefer Himmels-
veinheit, von ſonniger Waſſerfriſche! Hans Caſtorp hatte das nie geſehen, nichts dergleichen.
Er hatte auf Ferienreiſen vom Süden kaum genippt, kannte die rauhe, die blaſſe See und
hing daran mit kindlichen, ſchwerfälligen Gefühlen, hatte aber das Mittelmeer, Neapel,
Sizilien etwa oder Griechenland, niemals erreicht. Dennoch erinnerte er ſich. Ja, das war
eigentümlicherweiſe eim Wiedererkennen, das er ſeierte. „Ach ja, ſo iſt es!“ rief es in ihm,
-- als hätte er das klare Sonnenglück, das. ſich da vor ihm breitete, insgeheim und vor ſich
ſelbſt verſchwiegen, von je im Herzen getragen: Und dieſes „Je“ war weit, unendlich weit,
jo wie das oſſene Meer zur Linken, dort, wo der Himmel zart veilchenfarben darauf
niederging.
Der Horizont lag hoch, die Weite ſchien zu ſteigen, was daher kam, daß Hans den Golf
von oben ſah, aus einiger Höhe: Die Berge griffen um, als Borgebirge, buſchwaldig, in die
See tretend, zogen ſie ſich von der Mitte der Ausſicht im Halbkreis dorthin, wo er ſaß, und
weiter; es war Bergküſte, wo er auf ſonnerwärmten ſteinernen Stufen kauerte; vor ihm
fiel das Geſtade, mooſig und ſteinig, in Treppenblöc>en, mit Geſtrüpp, zu einem ebenen
Ufer ab, wo zwiſchen Schilf das Steingeröll blauende Buchten, kleine Häfen, Vorſeen bildete.
Und dieſes ſonnige Gebiet, und dieſe zugänglichen Küſtenhöhen, und dieſe lachenden Felſen-
been, wie auch das Meer hinaus bis zu den Inſeln, wo Boote hin und wider fuhren, war
weit und breit bevölkert: Menſchen, Sonnen» und Meereskinder, regten ſich und ruhten übere-
all, verſtändig-heitere, ſchöne junge Menſchheit, jo angenehm zu ſchauen, =“ Hans Caſtorps
ganzes Herz öffnete ſich weit, ja ſchmerzlich weit und liebend ihrem Anblick.
Jünglinge tummelten Pferde, lieſen, die Hand am Halfter, neben ihrem kopfwerfenden
Trabe her, zerrten die Bockkenden an langem Zügel oder trieben ſie, ſattellos reitend, mit
bloßen Ferſen die Flanken der Gäule ſchlagend, ins Meer hinein, wobei die Muskeln ihrer
Rücken unter der goldbraunen Haut in der Sonne ſpielten und die Rufe, die ſie tauſchten
oder an ihre Tiere richteten, aus irgendeinem Grunde bezaubernd klangen. An einer wie ein
Bergſee die Ufer ſpiegelnden Bucht, die weit ins Land trat, war Tanz von Mädchen. Eine,
von deren zum Knoten hochgenommenen Nac>kenhaar beſonderer Liebreiz ausging, ſaß, die
Flße in einer Bodenvertiefung, und blies auf einer Hirtenflöte, die Augen - über ihr Finger»
ſpiel hinweg gerichtet auf die Gefährtinnen, die, lang» und weitgewandet, einzeln, die
Arme lächelnd ausgebreitet, und zu Paaren, die Schläfen lieblich aneinander gelehnt, im
Tanze ſchritten, während im Rücken der Flötenden, der weiß und lang und zart und ſeitlid)
gerundet war infolge der Stellung der Arme, andere Schweſtern ſaßen oder umſchlungen
jtanden, zuſchauend im ruhigem Geſpräch. Weiterhin übte ſic Jungmannſchaft im BVogen-
ſchießen. Es war glücklich und freundſchaftlich zu ſehen, wie Aeltere noc Ungeſchi>te,
Lodige im Spannen der Sehne, im Anlegen unterwieſen, mit ihnen zielten und die vom
Rückſchlag Taumelnden lachend ſtüßten, wenn der Pfeil ſchwirrend hinausging. Andere
angelten. Sie lagew bäuchlings auf Uferfelſenplatten, mit einem Beine wippend, und
hielten die Schnur ins Meer, den Kopf gemächlich plaudernd dem Nachbarn zugewandt, der,
in ſchrägem Siß den Körper rek>end, ſeinen Köder recht weit hinauswarf. Wieder andere
waren beſchäftigt, ein hochbordiges Boot mit Maſt und Scegelſtange unter Zerren, Schieben
und Stemmen ins Meer zu ſördern. Kinder ſpielten und jauchgten zwiſchem den Welten»
brechern. Ein junges Weib, lang hingeſtre>t, hintüber blickend, z30g mit der einen Hand
das blumige Gewand zwiſchen den Brüſten hoch, indem ſie mit der anderen verlangend
in die Luſt nach einer Frucht mit Blättern griſſ, die der Schmathüftige zu ihren Häupten,
aufrecht ſtehend, ihr mit geſtre>tem Arme ſpielend vorenthielt. Man lehnte in Felſenniſchen,