Full text: Arbeiter-Jugend - 16.1924 (16)

ß Arbeiter-Jugend 
Kommunismus und Sozialigmus. 
Von &K. fiory, 
ie deutſche Arbeiterbewegung ſcheidet ſich bekanntlich ſeit einiger Zeit in zwei 
€ Yſchroff ſich gegenüberſtehende Lager: hie Sozialiſten =- dort Kommuniſten. 
nu Bon Anfang an bekämpften ſich beide Richtungen mit ſolcher Erbitterung, daß 
ein oberflächlicher Beobachter auf die Vermutung geraten konnte, es handle ſich um 
zwei verſchiedene Klaſſen, die in Grundſätzen und Taktik ſich ſo gegenſäßlich, ja 
feindlich zueinander verhielten, wie nur irgend die Klaſſe der Ausbeuter und der 
Ausgebeuteten, wie Bourgeoiſie und Proletariat. Natürlich wäre das ein ſundamen» 
taler Irrtum, denn beide Parteien haben die überwiegende Mehrzahl ihrer Anhänger 
in Arbeiterkreiſen, wurzeln ihren Zielen und ihrer Weltanſchauung nach im Prole» 
tariat. Ia, wenn man nur die grundſäßlichen Teile ihrer Programme berückſichtigt, 
findet man ſogar, daß Sozialdemokratie und Kommuniſtiſche Partei vielfach ähnliche 
Anſchauungen und Forderungen vertreten, daß jedenfalls von dieſer Seite her ihr 
ſchroffer Gegenſatz nicht zu erfaſſen iſt. 
Dieſe Uebereinſtimmung in der Theorie iſt übrigens geſchichtlich ohne weiteres 
verſtändlich. Sozialismus und Kommunismius waren bis in die jüngſte Zeit nur ver- 
ſchiedene Ausdrücke ſür dieſelbe Auſſaſſung geſellſchaftlicher und wirtſchaftlicher Zu- 
jammenhänge, und insbeſondere war der Kommunismus, die früher allein übliche Be- 
nennung, wo imer er in der Geſchichte auftrat, nichts anderes als die geſühls- 
mäßige Vorwegnahme der Lehre, die wir ſeit ihrer wiſſenſchaftlichen Begründung 
durch Marx und Engels ausſchließlich als Sozialismus zu bezeichnen uns gewöhnt 
haben. Nannten ſich doch ſelbſt Marx und Engels noc) in ihren Anfängen ebenſo 
häufig Kommuniſten wie Sozialiſten. Will man einen Unterſchied zwiſchen dieſen 
Bezeichnungen, ſoweit Marx' und Engels' Frühzeit in Betrocht kommt, heraus» 
flügeln, ſo könnte man ſagen, daß ſich die beiden als Forſcher Sozialiſten, als Po- 
litiker Kommuniſten nannten. Sie waren um die Wende der vierziger und fünſ- 
ziger Jahre des vorigen Jahrhunderts führende Mitglieder ves Bundes der Kom- 
muniſten, und das Ziel des Bundes war die Herbeiſührung der ſozialiſtiſchen Geſell- 
ſchaftsordnung. Ihre in der Folgezeit wiſſenſchaftlich begründete wirtſchaftliche und 
geſellſchaftliche Lehre aber haben ſie immer nur als Sozialismmus bezeichnet, und auch 
für die politiſche Auswirkung der Lehre, für die ſozialiſtiſche Arbeiterbewegung, geriet 
nach der Auflöſung des Bundes der Kommuniſten der alte Name bald in völlige Ver» 
geſſenheit. Erſt die ruſſiſchen Bolſchewiki, eine beſondere Richtung des ruſſiſchen 
Sozialismus, haben ihn wieder aus dem Schuit der Vergangenheit ausgegraben 
und als Parteiname akzeptiert, um ſich dadurch von anderen ſozialiſtiſchen Richtungen 
zu unterſcheiden. Ihre deutſchen Geſinnungsgenoſſen, die ſich anſangs, während des 
Weltkrieges, Spartakus-Bartei (nach dem altrömiſchen Sklavenrebellen Gpartakus) 
oder „internationale Sozialiſten“ nannten, haben dann neben anderen ruſſiſchen Ge- 
pflogenheiten auch die kommuniſtiſche Parteiſirma von Moskau übernommen, Aber 
wohlgemerkt, als Lehre, als wirlſchaftliche (ökonomiſche) und geſellſchaftliche (ſozio» 
logiſche) Theorie, alſo im „Endziel“ iſt auch dieſer modernſie Kommunismus* der 
Ruſſen und ihrer Internationale kaum von dem durch Marx und Engels begrün- 
deten Sozialismus unterſchieden, ja, die Anhänger der Kommuniſtiſchen Inter- 
nationale bilden ſich ſogar ein, im Gegenſaßz zu der Sozialdemokratie die einzig 
wahren „Marriſten“ zu jein. 
Kommunismus alſo, als ökonomiſch-ſoziologiſches Syſtem, iſt gleichbedeutend mit 
Sozialismus; beide Bezriſſe kennzeichnen eine Ordnung des Wirtſchaft5s- und Geſell-
	        
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