Arbeiter-Jugend 83
Der Kampf um die Republik.
Von Max Weſſphal.
ER ie Reichstagswahlen ſtehen vor der Tür. Die Parteien rüſten zu dem großen
5 hWahlkampf. Es werden alle Kräfte mobiliſiert. Redner und Schreiber, Pro-
"zw Paganda- und Werbetrupps, Aufrufe, Flugblätter, Plakate werden verbreitet
und Geld, Geld, Geld geſammelt. Die Parteien nennen ihre Kandidaten und ſormu-
lieren ihre Wahlprogramme. | |
Die Wahlprogramme . . . Was auch alles an Einzelheiten darin ſtehen mag,
die Hauptentſcheidung in dieſem Wahlkampf geht um das Schiſal unſerer Republik.
Giegt die Reoktion, dann befeſtigt ſie ihre jezt durch die Gunſt der Verhältniſſe
errungene Stellung auch allerſchnellſtens geſetzlich, d. h. beſonders: die Verfaſſung
wird geändert. Siegen die entſchiedenen Republikaner, dann werden ſie die poli-
tiſchen Rechte unverändert erhalten können und mit dem wirtſchaftlichen Erſtarken
ihres Kerntrupps, der ſozialiſtiſchen Arbeiterſchaft, ihnen auch allmählic<) wieder
ſtärkeres Leben einflößen.
Die demotratiſche Republik bedeutet für uns junge Sozialiſten unſere politiſche
Zukunft. In ihr werden wir als ſreie deutſche Staatsbürger leben und ſchaffen
tönnen; ſiegt die Reaktion, dann bedeutet das für uns und für die große Mehrheit
ves deutſchen Volkes Degradierung zum Untertan, Herabwürdigung zum unmün:-
digen, niederen Volk. Das kann uns nicht gleichgültig ſein! Dieſer Wahlkampf geht
uns ſtart an.
Icy) jehe auf den Geſichtern einer Anzahl unſerer Jugendgenoſſen doch ein kri-
tiſches Lächeln. Sie verweiſen auf die Ereigniſſe der lezten Wochen und Monate,
und ganz gewiß, die ſind nicht geeignet, das Zutrauen in die Republik zu ſtärken.
Aber vollſtändig falſch wäre, ihretwegen die Flinte ins Korn zu werfen und ſich
abſeits zu ſtellen. Bedenkt doch ſtets: nicht die Republik, ſondern die Republi-
faner haben verſagt. Es gibt ihrer noc) zu wenig, ſo viele Deutſche leben geiſtig
noch im „Kaiſerreich“, beweiſen das tatſächliche Vorhandenſein eines „beſchränkten
Untertanenverſtandes“. Die ſchweren Folgen des Krieges, die zu dem erſten großen
Griedenstraum von 1918 ſo wenig paſſen, haben ſie zu falſchen Schlüſſen geführt,
ſie ſehnen ſich nach der „alten guten Zeit“ zurück,
Wir auch? Nein! Uns zieht alles in eine beſſere, neue Zukunft! Und die muß
geſtaltet werden von unſerem eigenen Geiſt! Von unſeren eigenen Händen! Laſſen
wir uns nicht vom Wege abbringen! Auch wenn Dornengeſtrüpp ihn unpaſſierbar
erſcheinen läßt. Wir dürfen die Dornen nicht ſcheuen, müſſen hindurch, müſſen ſie aus-
rotten. Unſere Eltern haben ſich mühſam auf den Weg gekämpft, er war ihnen vor
gar nicht allzu ferner Zeit ganz verſperrt. Ihnen war die Gleichberechtigung, die
Mitverantwortung im Staat verſagt. Der ſtaatliche Apparat war ganz in den
Händen der Junker und des Bürgertums. Der Staat war für das „niedere Volk“
eine Zwangsjae, und um zur Freiheit zu kommen, mußte er zerſtört werden. So
ſchien es wenigſtens. Die Revolution hat neue Staatsformen entſtehen laſſen. Das
ganze Volk ſoll ſich ſelbſt regieren, ſeine leitenden Körperſchaften ſelbſt beſtimmen.
Wir haben nicht mehr den Staat zu zerſtören, wir müſſen ihn mit unſerem Leben er-
füllen, nach unſeren Jdealen geſtalten. Dies müſſen wir uns ganz feſt einprägen,
und dazu das weitere: die Verfaſſung von Weimar öffnet und gewährleiſtet uns die
Wege dazu. Darum müſſen wir ſie verteidigen. Angriffe auf die Verfaſſung ſind
Angriffe auf unſer politiſches Recht. Wenn auch ſo manches davon heute nur auf
dem Papier ſteht, -- es hat ſchwere Kämpfe gekoſtet, es überhaupt erſt mal auf das
Papier zu bringen, Es zum wirklichen Leben zu bringen, iſt die Aufgabe der Gegenwart.