Arbeiter-IJugend 87
Erfolge. Dort, wo eine ſtillſchweigende oder offene Vereinbarung zwiſchen Soziä-
liſten und linksbürgerlichen Elementen getroffen worden war, wurde der Nationale
Blo> vernichtend geſchlagen.
Nachdem -die Hoffnung auf eine grundlegende Aenderung des Wahlrechts von
1910 und auf eine Rückkehr zum früheren Syſtem der Einmännerwahlkreiſe unerfüllt
geblieben, ſtand nun die Partei vor der Frage, wie ſie bei den nächſten Wahlen am
beſten dem Nationalen Blo> entgegentreten könnte. Es herrſchte auf dem Vartei-
tag von Marſeille, Ende Januar d. I., faſt Uebereinſtimmung darüber, daß
man den verhängnisvollen Fehler von 1919 nicht wieder begehen dürfte. Mit großer
Mehrheit wurde die Zuläſſigkeit von örtlichen Wahlbündniſſen mit den-
jenigen linksbürgerlichen Elementen, die ſelbſt entſchloſſen waren, den Nationalen
Blo> niederzuringen, grundſäßlich beſchloſſen, wobei allerdings den örtlichen Bezirks»
verbänden Handlungsfreiheit gelaſſen wurde. So dürfte in einzelnen Departements
eine proletariſche Einheitsliſte mit den Kommuniſten zuſtande kommen, in anderen
dürfte die Partei allein in den Wahlkampf marſchieren; aber in den meiſten Wahl-
kreiſen wird ſich der Blo> der Linken bilden, und wehe dort dem Nationalen Blo>!
Hätten die Wahlen Mitte März ſtattgefunden, dann wäre die Kataſtrophe der
Regierung Poincare& Zweifellos vollſtändig geweſen. Inzwiſchen hat ſich allerdings
der Frank dank einer amerikaniſch-engliſchen Stüßzungsoktion wieder überraſchend
ſchnell erholt und, je nachdem wie ſich die Dinge auf dieſem Gebiete bis zum Mai
entwickeln, wird ſich auch das Anilitz des nächſten Parlaments geſtalten. Auch hängt
drüben viel von dem Ergebnis der deutſchen Reichstagswahlen ab. Es iſt be-
zeichnend, daß Poincars den Termin der franzöſiſchen Wahlen erſt dann bekannt-
gegeben hat, als die deutſchen Wahlen auf den 4. Mai feſtgeſezt waren. Unmittelbar
nach dem Ebertſchen Erlaß hat Poincars den 11. Mai als franzöſiſchen Wahltag
feſtgeſetzt. Er hofft nämlich in der Zeitſpanne von acht Tagen die franzöſiſche
Oeffentlichkeit zugunſten des Nationalen Blo>s dadurch zu beeinfluſſen, daß er auf
Erfolge der Deutſchnationalen und Deutſchvölkiſchen wird hinweiſen können. Die
Dummheit eines großen Teils des deutſchen Volkes iſt tat-
ſächlich dielezteHoffnungderſ<hlimmſten Bedrü>er Deutſch-
lands,
Dennoch gehen unſere franzöſiſchen Genoſſen mit ſtarken und berechtigten Hoff-.
nungen in den Wahlkampf. Obwohl das Prophezeien ſtets ein unſicheres und undank-
bares Geſchäft iſt, darf man wohl die Prognoſe riskieren, daß die Sozialiſten mit
etwa 100 Mandaten in die nächſte Kammer zurückkehren werden. Wie die Kom-
muniſten abſchneiden werden, iſt ſchwer zu ſagen. Außer in Paris, Lyon und im
Norden haben ſie keinen nennenswerten Anhang. Wenn ſie die Ziffer von zwei
Dutzend erreichen, dann wird das ſchon ſehr viel ſein.
Jedenfalls wird die nächſte Deputiertenkammer ganz anders ausſehen als die
jeßige, zumal die mit den Sozialiſten zuſammengehenden Radikal-Sozialiſten und
Sozialiſtiſch-Republikaner ebenfalls ſehr geſtärkt aus dem Kampf hervorgehen dürften.
Und da würde ſich für ein demokratiſches Deutſchland endlich eine wunderbare
Gelegenheit bieten, die Vergangenheit der Kriegs- und Nachkriegszeit im beiderſeitigen
Einvernehmen und zum Segen beider Völker zu liquidieren. Aber wird es dann
noh ein ſolches demokratiſches Deutſchland geben? Dafür zu ſorgen, daß dieſe koſt-
bare Gelegenheit nicht verloren geht, und daß die endlich wieder erſtarkte franzöſiſche
Arbeiterbewegung auch in Deutſchland einen aktionsfähigen Partner findet, iſt eine
der wichtigſten Aufgaben der deutſchen Sozialdemokratie im gegenwärtigen eigenen
Wahlkampf. oo |