Arbeiter-Jugend 95
In rührender Treuherzigkeit blikt das gequälte Volk jetzt zu dem jugendſchönen
Kaiſer Maximilian empor, den man für den Vorläufer der Wiederkunft Chriſti hält.
Auch er läßt ſie im Stich. Und nun ſchallt plößlich durch die Welt Luthers
Predigt „von der Freiheit eines Chriſtenmenſchen“,
Wir können uns denken, wie die Bauern da aufhorc<ten. Verzweiflung,
Hoffnung, religiöſer Kinderglaube, alles mengt ſich zu jenem furchtbaren Flammen-
ſturm, der die ſtolzen Ritterburgen eingeäſchert hat, =
Gleich einer Furie raſt der Vauernkrieg durchs Land: die Rache der Sklaven!
Man muß die Verhältniſſe kennen, um die viehiſche Wut zu verſtehen, mit der
ö& B. in Weinsberg der Adel gezüchtigt wurde. |
Abe1 auch Luther verläßt die Sache der Bauern. Die Fürſten und der Klein-
adel ſchlagen vereint die Erhebung nieder, das Los der Bauern nach 1525 iſt ſchlimmer
als je zuvor. Das Junkertum hat damals auf der ganzen Linie geſiegt. Noch heute
ſchröpfen Klerus und Ritter das deutſche Volk. An die Stelle der Bauern iſt das
jtädtiſche Proletariat gerreten, um mit neuer Kraft und mit neuen Waſſen den alten
Kampf fortzuführen, den Kampf um Freiheit und Menſchenwürde. .---
Karl! Sendell, der Sechzigjährige.
Von Ludwig Leſſen.-S-/
fs in noch immer Jugendlicher vollendei in dieſen Tagen ſein ſechſtes Lebensjahr»
gG Y7 zehnt. Einer, deſſen flammende Worte, deſſen züngelnde Strophen die Herzen
Is packte, wie das im lezten halben Jahrhundert. kaum einem 8weiten deutſchen
Dichter im gleichen Maße gelungen iſt, will, den Jahren nad), in die Reihen der Alten
treten Aber wir glauben ihm das nicht. Denn Karl Hendell, der am 17. April d. I.
ſechzig Jahre alt wird, war jung, blieb jung und wird immer jung bleiben. Das
weiß und verſteht am veſten die deutſche Arbeiterjugend, der er erſt im Auguſt des
vorigen Jahres auf ihrer Nürnberger Tagung ſein tief empfundenes Gedicht „An
die Jugend“ widmete und ſprach. So mancher von denen, die dieſe Zeilen leſen,
wird ihn dort perſönlich kennen und lieben gelernt haben und ihm heute als ein Unbe-
tannter aus der großen Maſſe ſeiner Verehrer Gruß und Glückwunſch ausſprechen.
Wie alle echten und wahren Poeten, ſo iſt auch Karl Hen>ell in ſeiner Zeit
verantert. Aus bürgerlichen Kreiſen ſtammend -- er wurde am 17. April 1864 zu
Hannover geboren --, trieb ihn Herz und Verſtand früh in die Reihen der Freiheits-
tämpfer. Als Hencell ſeine erſten flammenden Gedichte ſang, hing über Deutſchland
die Ghmach des Gozialiſtengeſezes. Und Hendell ging mit offenen Augen durch die
Welt. Er ſah den Jammer der Ausgewieſenen, er fühlte die Qualen der in die
Gefängniſſe Geworfenen, er erlebte all das Elend mit, das polizeiliche Willkür über
Hunderttauſende verhängte. Schon damals --“ die Bewegung der Jungen in der
deutſchen Literatur hatte eingeſeßt =- gab es keinen bedeutenderen Dichter, der nicht
joziaien Stoſſen in irgendeiner Form ſeinen Tribut gezollt hätte. Die Zeit, da man
mit Scheuklappen vor den Augen durchs Leben ging, war vorbei. Durch die Tiefen
und düſteren Gründe des Lebens ſchritt die junge Dichtergeneration. So konnte
ſich auch eine ſo impulſive und temperamentvolle Natur, wie ſie Karl Henckell war,
nicht abſeits ſtellen. Und gerade Hend>ell war es, der den breiten Volksmaſſen
gejühlsmäßig am nächſten ſtand. Er verſtand ihr Sehnen und Streben, er verlieh
ihren Wünſchen und Wollen poetiſchen Ausdruc>, er wurde zum Dichter der Lebens-
bejahung und der Weltfreudigkeit.
So wurden Hendells Poeſien raſch die Schwert- und Glaubenslieder des ſich