ß Arbeiter-Jugend
weſtlichen Landesteilen als Nachfolger des römiſchen Kaiſers oder Fiskus, galt als
Cigentümer alles nod) unbeſeizten Landes, und das war ja von der Geſamtfläche des
Reichs noch weitaus das meiſte. Was konnte er damit machen? Er benußzte es
zur Beſoldung ſeiner höchſten Beamten, ſeiner Heerführer, Grafen, Biſchöſe, zur
Beſchenkfung von Perſonen, deren Dienſte ihni wichtig waren, zur Begabung von
Klöſtern und Kirchen. Das war ja in jenen, rein von der Landwirtſchaft lebenden
Zeiten die einzige Art, wie man Dienſte beſolven oder Geſchenke machen konnte:
Zuweiſung von Land, damit der Beſchenkte von deſſen Erträgniſſen lebe, Un-
geheure Länderſtre>en ſind auf dieſe Weiſe von den Königen vergeben worden.
In der Blütezeit der großen Grundherrſchaft, die allerdings erſt ins 10. bis
12. Jahrhundert fällt, joll ein Grundbeſitz von 3000 Morgen als klein gegolten
haben; die Regel ſoll 8000 bis 18 000 Morgen geweſen ſein, und 30 000, ja bis
zu 60 000 Morgen in einer Hand ſollen keineswegs allzu ſelten vorgekommen ſein.
Von ihrem Beſitz ſollten bie Grundherren leben. Er mußte alſo angebaut
werden, wozu die Hilfe zahlreicher Menſchen erſorverlich war. Hierfür bürgerte ſich
das Fronſyſtem ein. Ueberall wurden kleine Bauernſamiiien angeſiedelt, die
vom Ertrag des ihnen zugewieſenen Landes lebten und dafür dem Grundherrn
gewiſſe Abgaben und Dienſte ſchuldeten. Den Mittelpunkt des Beſiltzes bildete der
Herrenhof mit den dazu gehörigen Ländereien. Die meiſten Grundherren wohnten
aber nicht oder nur ſelten auf ihren Herrenhöfen, da ſie ihre Obliegenheiten im Dienſte
oder am Hofe des Königs verſahen und eben von den Erträgen ihres Beſitzes nur
lebten. Doch gab es auch Grundherren, die dauernd die Bewirlſchaſtung ihres
Beſitzes ſelbſt leiteten.
Die Bebauung des ſog. Sallandes = ſo wurden die zum Herrenhof gehörigen
Ländereien bezeichnet -- geſchah nur zum kleinſten Teil durch eigenes Perſonal,
zum allergrößten Teil durc) die Frondienſte der auf dem übrigen Teil der Grund-
herrſchaſt angeſiedelten Bauern. Man ſieht hier deutlich, wie die Aenderungen der
wirtſchaftlichen Zuſtände ſoziale Aenderungen nach ſich zogen. Bis dahin war der
veutſc2 Bauer ſr ei geweſen. Nur dem König und allenfalls ben königlichen Be-
amten war er untertan. Seine Arbeit aber betrieb er für ſich ſeibſt und nach
eigenem Gutdünken. Für viele Bauern blieb das auch weiterhin ſo. Bald aber
waren die freien Bauern doch ſchr in der Minderzahl gegenüber den vielen, auf den
Grundherrſchaften angeſiedelten Bauern. Dieſe aber waren nicht mehr ſrei, ſondern
horig. Ihre Hörigkeit beſtand eben in den Dienſten und Abgaben, die ſie dem
Grundherrn ſchuldeten. Ein großer Teil ihrer Arbeitszeit und Arbeitskraft gehörte
nicht mehr ihnen ſelbſt, jondern dem Grundherrn, und daraus entwickelte ſich
natürlich ein Untertanenverhältnis,.
Abgaben wie Dienſte waren hart und ſchwer. Nicht weniger als die Hälſte
ſeiner Arbeitszeit, drei Tage in der Woche, mußte der unſreie Bauer auf dem Gut
de5 Herrn tätig ſein. Auch ſeine Frau war zu Haus- und Acerdienſten verpflichtet.
Mit der Zeit erweiterte ver Grundherr die Dienſte. Nicht nur den Aer mußten
ihm die hörigen Bauern beſtellen, auch Botengänge und Transporie mußten ſie
beſorgen, die dazu nötigen Pferde, Wagen, Kähne ſtellen uſw. Es kam ſo weit, daß
ſie kaum Zeit behielten, die eigene Hufe anzubauen, und von deren kärglichem
Ertrag mußten ſie ja noch große Teile an den Herrenhof abliefern.*)
(Es verſteht ſich, daß die hierdurch entſtehenden weitläufigen Beziehungey
zwiſchen vem Grundherrn und „ſeinen“ Bauern eine geordnete Verwaltung not»
wendig machten. Auf dem Herrenhof ſelbſt ſtrömte eine Menge Menſchen zuſammen,
*) Eine pa>kende Schilderung bei Laſſalle: „Herr Baſtiat-Shulße von Deititzſch".