10 Arbeiter-Jugend Dm
taſſen die Stimmung der Hoffnungsloſigkeit und der Verzweiflung. Es kam der
Gedanke auf, daß alles vernichtet werden müſſe, ehe es beſſer werden könne; die
„Fataſtrophentheorie“ beherrſchte die Köpfe, und der Zerſtörungswille machte ſich
in Repolten und Butſchen, in Aufſtänden und Krawalien Luft. Glücklicherweiſe
wurde dieſe Verelendungstaktik überwunden und durc die Verbeſſerungstaktik erſeßt;
das Broletariat begann ſich geiſtig und ſittlich zu ſchulen, es erkämpfte ſich Rechte
und gründete Organiſationen, es leiſtete poſitive Gegenwartsarbeit im Hinbli> auf
die Zukunſt. Die Erſolge blieben nicht aus, und damit verlor der Wunderglaube
an die Wirkung einer Revolution zuſehends an Stärke. Die fortgeſchrittenen prole-
iariſchen Schichten lernten das Weſen und die Möglichkeiten der Revolution kennen;
ſie erkannten, daß eine jede Revolution aus Umſturz unv Aufbau beſteht, daß der
Umſturz nur negativ, zerſtörend und niederreißend zu wirken vermag, indem er die
Hinderniſſe hinwegräumt, die der Entwicklung zur Höhe im Wege ſtehen, daß er
aljo ſolgerichtig in den Aufbau ausmünden muß. Nach dieſer Erkenntnis richteten
ſie ihre Taktik ein, und dieſe Taktik brachte ihnen ſichtbare Erfolge. Die Ueberzeugung,
daß eine jede Revolution durch eine Evolution*) ergänzt werden muß, beſtimmte die
Taktif des organiſierten, in den Drganiſationen geſchulten Proletariats in der Vor-
friegszeit.
Heute beobachten wir deutlich einen Rückfall in eine überwundene Geiſtes»
und Gefühlswelt**), der ſeine Urſache hat in der Not ver Zeit einerſeits und in vem
Mangel an geiſtiger Schulung andererſeits. Der moderne Kommunismus bolſche-
wiſtiſ<er Färbung hat ja nichts mit dem Verſtande zu tunz er iſt offenbar das
Erzeugnis körperlicher Verelendung und ſeeliſcher Verwahrloſung; er hat ſeine Quelle
in der Enttäuſchung, der Verärgerung, der Hoffnungsloſigkeit, dem Mißmut, der
Unrajt, oder in rein gefühlsmäßigen Momenten: er iſt eine Stimmung, aber keine
aus Wijſſenſc<aft, Geſchichte und Erfahrung geſchöpfte Erkenntnis. Die Menſchen,
Die da wähnen, man könne unſer heutiges wirtſchaftliches, politiſches und ſoziales
Leben zertrümmern, und dann werde aus dem Chaos die Wunderblume einer
höheren Menſchheit erwachſen, dieſe Menſchen ſind ebenſo wundergläubig und wunder»-
jüchtig wie jene Frommen, die da auf das Wunder von oben harren und hoffen.
Religion und Revolution ſind in ihrem inneren Weſen ver-
wandt, weil ſie beide ihre Wurzeln in dem Glauben an des
Wunder haben. Jhre überraſchende Aehnlichkeit umd Geiſtesverwandliſchaft
zeigt ſich auch darin, daß ihre Anhänger Fanatiker und darum jedem vernünftigen
Zureden unzugänglich ſind. Sie berauſchen ſich an Illuſionen und Lufitgebilden, die
vor dem Windhauch der geſunden Vernunft wie Schemen zerflattern; ſie wollen nicht
auſgetlärt und belehrt werden, jie wollen Nahrung haben für ihr Gefühl und ihre
Phantaſie. Man beobachte nur, mit welcher religiöſen Inbrunſt die gläubigen
Chriſten und die gläubigen Kommunijten den Worten ihrer Redner lauſchen, mit
welcher ſanatiſchen Intoleranz ſie jede gegenteilige Meinung verfolgen. Die mittel-
alterlichen Ketzerrichler, die keinen Zweiſel duldeten und den Zweifelnden verbrannten,
ſinden ihr Ebenbild in den modernen Parteipfaſſen, die einen Redner verprügeln,
wenn er ihnen nicht nach dem Munde ſc<wäßt. Welche Zuſtände würden ſich bei uns
entwi&eln, wenn den <riſtlichen und bolſchewiſtiſchen Menſchheitsbeglückern nicht die
Krallen beſchnitten wären, wenn ſie könnten, wie ſie wollten:
*) Evolution =- Entwidälung auf friedlichem Weg -=- Gegenſaß: Revolution == gewalt»
ſamer Umſturz.
**) Der Auſſaßz iſt vor den Wählen geſchrieben die gezeigt haben, daß der kommuniſtiſche
Wunderglaube im Abſlauen begriffen iſt,
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