Full text: Arbeiter-Jugend - 17.1925 (17)

Arbeiter-Jugend - 1333 
is 
Richtung iſt bekanntlic) Bellamys „Rücdbli> aus dem Jahre 2000", einſt Moderoman, 
heute nur noch als Kurioſität geleſen. Was die „Kunde von Nirgendwo“ betrifft, ſo 
hat heute jeder Proletarier voll begriffen, daß der Sozialismus das Produkt einer 
von vielen Faktoren abhängigen Entwicklung iſt, und daß die ſozialiſtiſche 
Geſellſchaft ſelber aller menſchlichen Vorausſicht nach ein in ſteter Entwicklung be» 
griffenes, in ſtetem lebendigen Fluß befindliches Gebilde und kein ſtarres, in aller 
Ewigkeit unveränderlich beharrendes Srtſtem ſein wird. Wie die bürgerliche Geſell» 
ſchaſt bei ſelbſtverſtändlich gleichbleibender materieller Grundlage (nämlich dem Privat» 
eigentum an den Rroduktionsmitteln) ſich in einer Fülle verſchiedenartigſter geſell» 
ſchaftlicher und kultureller Erſcheinungsformen geäußert hat, ſo wird auch der Sozia» 
lismus eine Vielheit äußerer Formen und Normen offenbaren. Wir lehnen deshalb 
heute das fix und fertige Bild, das utopiſtiſche Romane von der ſozialiſtiſchen Geſell» 
ſchaft entwerfen, als unſichere und unwahrſcheinliche Schilderung ab. Das aber hindert 
uns nicht, wie im Fall der „Kunde von Nirgendwo“ des William Morris, ein lieben» 
des Andenken den Dichtern zu bewahren, die mit begeiſtert vorſtürmender Phantaſie 
das Land der Zukunft zu ſchildern unternahmen, an deſſen Erſchließung und Urbar» 
machung wir jeßzt arbeiten. 
 
zu 
Organiſation und Bedeutung des Bölkerbundes. 
Von Hans Weſemann, Genf. | 
FP en einen eine Scham, den anderen ein ſchmerzliches Gelächter," könnte man 
8 Emit Nießſche ſagen, wenn man immer wieder ſehen muß, mit welcher Ver» 
zes |tändnisloſigkeit oder welchem Uebelwollen gerade in Deutſchland ein großer 
Teil des Volkes dieſer Inſtitution gegenüberſteht. Es iſt in beſtimmten Kreiſen 
geradezu eine Mode geworden, den Völkerbund für alles und jedes, was unſer 
Land an Mißgeſchi> betroffen hat, verantworilich zu machen, wovei das Grund- 
motiv aller dieſer Kritiker und Ankläger immer wieder bleibt: Ich kenne Zwar die 
Abſichten und die ganze Einrichtung des Völkerbundes überhaupt nicht -- aber ich 
mißbillige ihn. 
Man ſoll ſich auch vor jenen überſchwenglichen Idealiſten hüten, die in dem 
Völkerbund das Ziel aller irdiſchen Träume ſehen, die Verkörperung des ewigen 
Friedens, die Garantie der Glücſeligkeit für alle Menſchen und ganz beſonders 
auch eine Möglichkeit für ſchwärmeriſche und empfindſame Seelen, einer harten 
und rauhen Wirklichkeit aus dem Wege zu gehen. 
Der Völkerbund liegt genau auf der Mitte dieſer beiden Auffaſſungen. Er iſt 
heute ein Inſtrument der großen Politik, und er dient gleichzeitig humanitären 
Zwecken, die über allen Streit der Parteien und Nationen erhaben ſind. 
Es bleibt troß allem das unſterbliche Verdienſt Wilſons, zuerſt in ſeinen zwölf 
Punkten den Gedanken eines Friedenspaktes aller Nationen ausgeſprochen zu haben. 
Und alle Völker, müde des Mordens und der jahrelangen Verzweiflung, hörten 
ſeine Botſchaft mit einer Gläubigkeit und einem Vertrauen, die auch ihre Re- 
gierungen zu Zugeſtändniſſen in dieſer Richtung zwang. Vom Waffenſtillſtand ab 
wurde deshalb dieſe Forderung nac) dem Völkerbund laut, der den Frieden für 
alle Welt bringen ſollte. Und in dem einleitenden Kapitel des Verſailler Vertrages 
ſelber wurde ein Bekenntnis zur Jdee des Völkerbundes aufgenommen, das allen 
Unterzeichnern des Friedensvertrags die Verpflichtung zum Eintritt in den Völker» 
bund auferlegte. | | 
Dabei war der Grundgedanke, daß der Völkerbund eine ſtändige Verbindung 

	        
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