Full text: Arbeiter-Jugend - 17.1925 (17)

Arbeiter-Jugend ma. BL 
Auch wir ſehen Hamburg im Nevet, und auch uns ſpült zuweilen ein plößlich nieder» 
fallender Regen in. die erſte beſte Hausflur. Aber es iſt September, und hinter den Nebol- 
ſjchleiern leuchtet ein heller, verheißender Schein, eine Ahnung von lichten Herbſthimmeln. 
Und manchmal wird der Nebel leicht. Dann ſchwebt er als feiner; grauer Dunſt über der 
Stadt, und über die herbſtlichgelben Bäume. an der Alſter huſcht der kühle Glanz einer Sonne, 
die man nicht ſieht, wie ein Lächeln über ein Antlitz. Das freudige Licht ſließt über 
vie hohen, ſtrengſchönen Handelshäuſer am Barkhof und an der Mönckebergſtraße, vor deren 
fenſterreichen, ſenkrecht gegliederten Fronten man immer wieder empfindet: Hamburg iſt 
eine. großzügige, arbeitende, reiche Stadt, und jein Reichtum iſt nicht heute und geſtern erſt 
erraſit, Hamburg. iſt keine Gründerſtadt, und hinrcnter dieſen Fenſterreihen denki man in 
Erdteilen und nicht in beengten Provinzen. Man geht durch) dieſe Straßen und ſpürt den 
Welthauch Londons, Amerikas, den Salzduft aller Meere des Erdballs -- ganze Schaufenſter 
ſind mit waſſerblauen Seekarten bede>t, und. in den Gpalten der Hamburger Zeitungen 
ſtehen die lo>enden Namen afrikaniſcher und auſtraliſcher, aſiatiſcher und amerikaniſcher 
Städte. odo u 
Der Weltkrieg hat dieſer Stadt vier Blutjahre lang den Puls abgeſchnürt, in dem der 
Rhythmus einer Welt klopfte. Nun ſchlägt er wieder, noch gehemmt und manchmal geſtört, 
aber er ſchlägt wieder, - 
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Dicht neben den Prachiſtraßen gibt es andere, das alte Hamburg. Man ſtreiſt an 
üppigen Schauſenſtern entlang, aus denen es verwirrend nach Südfrüchten duſtet --- da 
dſfnet fich ein verdächtiger Gang, ein ſc<warzer Stollen mit feuchtglitſchigen Wänden, ein 
mannshoher Tunnel zu ebener Erde. Man taſtet ſich geblendet unter dem Hauſe hin, dem 
jenſeitigen Ausgang zu -- dahinter liegt ein bhandtuchſchmaler, tiefer Hof, eine enge Hinter- 
hausgaſſe mit buckligem Pflaſter, mit zwei- und dreiſtötigen Häuſerwänden. Man kann 
mit ausgebreiteten Armen faſt beide Wände zugleich berühren. Die Häuſer haben ſchiefe, 
vom Alter vornüber geſunkene Wände. Jedes Stoc>werk ſpringt ein Stüc über das untere 
vor. Fenſter reiht ſich an Fenſter. Ohne ſichtbare Zwiſchenwand. Lange Reihen gerahmtes 
Glas. Es erinnert an Frühbeete, " | 
Dieſes alte Hamburg verſchwindet --- es iſt nicht ſchade darum, Ueberall klaſſen die 
Abbruchſtellen; rote Vackſteinberge türmen fich dort und anſtelle 'der alten Geniſte entſtehen 
moderne, geſunde, ſchöne Baclſteinhäuſer. Aber noch gibt es ganze Straßen und Gaſſen, in 
denen Althamburg, das Hamburg der Cholera, ſortlebt. Die Häuſer wenden ihre ſteilen 
Giebel der Straße zu; alle haben bucklige Fachwerkwände, und alle haben die langen 
gläſernen Reihen der lichthungrigen Genſter. Gaſſen ſind darunter, in denen düſtere Große 
ſtadtſzenen nicht erſt geſtellt zu werden brauchen -- ſie ſpielen ſich ab. Zwei Dirnen ſchlagen 
ſic) vor einem Lokal, aus deſſen geöffneter Tür der Lärm eines Orcheſtrions ſtürzt. Die 
Weiber haben ſich bei den Haaren gepackt. Schutßleute kommen und trennen ſie ohne Aufs 
regung -- es iſt nichts Außergewöhnliches, Die eine geht plattdeutſch ſchimpfend ihrer Wege, 
die andere verſchwindet in der Kneipe, in der das Orcheſtrion ſchreit und hämmert. | 
- Und dann kommt ein Sonntag in herbſtlich hellem Licht. Frühmorgens ſchimmern dis 
Faſſaven am Jungſernſtieg weiß und elfenbeinfarben über den gilbenden Bäumen. Ein ganz 
ſeiner, lichtdurchſloſſener Dunſt hüllt die weißen Fronten und die violetten Backſteinfaſſaden 
und die Herbſtbäume und die grünen Türme in durchſichtigen Glanz, der dieſem Alſterbilde 
das zarte Leuchten jener altmodiſch-liebevollen Aquarelle gibt, die wir dann in der Kunſt» 
halle betrachten können. 
Zwei Stunden lang -wandern wir beglü>t und berauſcht durch dieſe reichen Schaf» 
kammern. Wo in Deutſchland findeſt du wieder ſo unzählige Prachtſtüke der Malerei des 
19. Jahrhunderts geſammelt wie in der Hamburger Kunſthaile, in der Saal an Saal, Wand 
neben Wand. die Werke von Waſſmann und Runge, Raysky und Menzel, Liebermann und 
Leibl, Courbet und Corot, Delacroix und Daumier, Reeoir und Degas, Manet und Martes, 
Cezanne und Van Gogh hängen? Und welche Galerie Deutſchlands hat ſich, unbeirrt 'vom 
Streit der Meinungen, in ſo reicher Zahl die beſten Stücke der Malerei des 20. Jahrhunderts 
geſichert? Allein dieſer Kunſthalle zuliebe möchte man zwei Wochen lang in Hamburg 
Wohnen, 

	        
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