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Nowgorod am Ilmenſee (nicht zu verwechſeln mit Niſchnij-Nowgorod an der
Wolga). Auch hier in Nowgorod ſaß eine deutſche Hanſe. Sie erbaute ſich ſpäter
den mit Mauern und Türmen geſicherten St. Peterhof mit eigener Kirche und großen
Wohn- und Speicheranlagen. In Wisby und Nowgorod ſtapelten ſich aus Schweden
und Rußland große Mengen an Holz, Pelzwerk, Wachs, Kupfer und anderen Rohs
produkten. Pelze, als vamals verhältnismäßig viel mehr verwandte Schuß- und
Schnwekleidung, und das für die Beleuchtung der beſſeren Häuſer und namenilic])
der Kirchen unentbehrliche Wachs wurden von der Oſtſee weit nach Weſten bis
England und Flandern (Brügge) verſahren,
In London war ſchon vor 1200 ebenſalls eine Genoſſenſchaftsniederlaſſung
deutſcher Kaufleut2 vorhanden, hier überwiegend aus Kölner und aus von Weſtſalen
kommenden Händlern beſtehend. Auch dieſe Genoſſenſchaft wurve eine „deutſche
Hanſe“ genannt. In London handelte man beſonders die hier jährlich zuſammen-
geführte engliſche Schafwolle ein, die neben etwas Zinn das einzige weſentliche
Produkt war, das das bis zum 16. Jahrhundert recht ärme, wirtſchaftlich und
handelspolitiſch ſchwache England gauszuvführen hatte. Die deutſchen Hanſen er-
langten mit der Zeit das Vorrecht, auch vor den Engländern ſelbſt, dieſe Woile ganz
allein aufkaufen und ausführen zu dürfen, woraus ſich natürlich eine für die deutſchen
Handelsherren ſehr günſtige, für den engliſchen Schafhalter ſehr ungünſtige Preis-
bildung ergab. Durch die Genoſſenſchaft hatte ſich alſo die frühere Rechtloſigkeit des
deutſchen Kaufmanns ſogar in ein die Einheimiſchen drü&endes und ausbeutendes
Vorrecht gewandelt! Die Londoner hanſiſche Faktorei entwickelte ſic) nachmals zu
dem berühmten „Stahtlhof“, der wie eine Feſtung mitten in der Stadi lag. Hier
hauſten die zu- und abreiſenden deutſchen Kaufleute in aller Sicherheit inmitten ihrer
Wollſtapel nach eigenen Geſeßen.
Jeſtzuhalten iſt ſomit, vaß „Hanſe“ der Gildenname für die ſich an ſolchen
Punkten im Auslande treſſenden Kaufleute aus verſcyiedenen Deutſchen Städien war.
Die Koſten für die Befeſtigungen der Niederlaſſung, für die Verhanvblungen mit den
örtlichen Machthabern (einſchließlich der damit verbundenen Beſtechungen) und die
gemeinſame Verwaltung und Bewachung wurden auf alle Genoſſen ihrer Beteili-
guag am Handel entſprechend umgelegt; auch dieſer Beitrag hieß zuerſt „die Hanſe“.
Schließlich führte die erfolgreiche Intereſſengemeinſchaſt und die in der Fremde
gewonnene immer engere Bekanntſchaft der großen Kaufmannsſamilien aus den
verſchievenen Städten dazu, daß die von denſelben Familien (als Ratsgeſchlechtern)
regierten Städte ſelbſt Bündniſſe zur Sicherung ihrer Handelsvorteile, zur Be-
friedung der Straßen des Binnenlands, zur Stabiliſierung des damals ſehr zer-
flüfteten Münzweſens umd endlich ſogar zum gemeinſamen Krieg gegen ihre Feinde
initeinander eingingen. Die rheiniſchen Städte verbündeten ſich untereinander und
mit den weſtfäliſchen und niederſächſiſchen; die bereits genannten Städte an der
Oſtſee bildeten den Bund der wendiſchen Städte (ſo bezeichnet wegen des von
Wenden oder Slawen bewohnten und erſt allmählich mit Einwanderern aus dem
weſtelbiſchen Deutſchland durchſetzten Mecklenburg und Pommern); Danzig und
Königsberg ſammelten um ſich die preußiſchen Städte. Weil nun der ODſtſeehandel
an Umfong und Wert den auf der Nordſee (damals ſagte man „Weſtſee“) bedeutend
überwog, weil die Oſtſee daher das eigentliche Handelsmeer des nördlichen Europas
war, ſo lag das Schwergewicht in den wendiſchen Städten und bei ihrem Haupte:
dem reichen, ſtolzen und bald herrſchgewohnten Lü b e >. Im Anſange des 14. Jahr-
hunderts verſchmolzen die einzelnen Städtebünde zu einem großen, von Riga und
Nowgorod bis Brügge umd Untwerpen reichenden Geſamtbund der niederdeutſchen