Arbeiter-Jugend emen 321
Die Sternenträger.
| Levenswanderung einer Jugend. un
- €. R. Müller hat uns ein neues Buch geſchenkt. Ich glaube, es iſt das
bejte Müllerſche Buch, das bisher erſchien und auch wohl eines der wertvollſten
Zücher, die uns vom Leben der Jugend Kunde geben. Zeugt es doch, wie kaum
ein anderes Buch, von einer umfaſſenden Kenntnis der jugendlichen Seele, und
das iſt es, was die Sternenträger ſo wertvoll macht. Kein ſeichtes Aufklären,
keine Formeln, ſo oder ſo mußt du leben, um ein brauchbares Glied der Menſch-
heit zu werden, nein, Müller kennt die Jugend, er faßt ſie als etwas Weſens-
eigenes im Leben und ſtellt ſie in ihrer Eigenart hin. Ob das berechtigt iſt?
Eine müßige Frage! Wie mancher „gutmeinende“ Pädagoge und auch wie mancher
in unjeren Reihen, der mit der Jugend zu tun hat und ſie formen möchte nach ſeinen
Begriffen, zerſchellt mit ſeinen Formeln an dem „Eigenſinn“ der Jugend, und reſig-
niert verſchwindet er, wenn ihn der Broterwerb nicht zum „Aushalten“ verdammt.
Das Menſchenleben iſt ein großes Rätſel. Das Alter glaubt, als Löſung, für alle
Lebenslagen der Jugend „aufklärende, rationale“ Weisheiten geben zu ſollen, es
gibt ſich ſelbſt als Univerſalmittel, und die „undankbare“ Jugend brütet über allerlei
Schnidſchna> nach und moktkiert ſich, Gerade die aktivſte Jugend, die am meiſten
jeeliſche Eigenart als Jugend in ſich trägt, iſt dem Aelteren oft unheimlich und ſichtlich
unſympathiſch. Er verſteht ſie nicht und „erklärt“ ihr Gebaren als ſonderbar oder
ſelbſt als verrückt, und als Erzieher verſucht er mit Güte und Strenge den Jugend-
lichen zu ſeiner „Raiſon“ zu bringen. .
Da iſt der alte Handweber im Müllerſchen Buch, der genau ſo gut eine andere
Arbeit verrichten könnte, deſſen Lebensinhalt mit Webſtuhl und Uhr umſchrieben iſt.
Cin von den Sorgen und Mühen des Alters eingeklammertes Leben, mechaniſiert
und geregelt; das Bendel der Uhr füllt alles aus --, eine feine Symboliſierung des
alten Arbeiters. “
Und der Junge ſoll in Uhr und Arbeitsmittel hineingepreßt werden, ſoll ſich
abfinden mit Mechaniſierung, Regeln und Formeln, damit die kleinen Mäuler zu
eſſen haben. Er läuft davon, zu den Kühen in den Nachbarſtall, wo warmes Leben
puiſiert, wird gezüchtigt und läuft doch wieder davon. Wie meiſterhaft iſt hier Alter
und Jugend gefühlt und wie fein in einem einzigen Saßze herausgeſtrichelt, daß in
ver Induſtrie die Kluft zwiſchen Alter und Jugend durch die Mechaniſierung der
Arbeit größer iſt wie auf dem Lando. Denn Mechaniſierung und Jugend vertragen
ſich nicht gut zuſammen, und deshalb läuft Otto zu den Kühen.
Klaſſiſch wirb die Mutter geſchildert, ſie weiß nichts vom Recht und von der
Seele der Jugend, aber die Streiche, die der Junge bekommt, treffen ſie und ver-
wunden vas Mutterherz. Und dann ſchildert Müller mit Meiſterhand die Jugend,
wie jie die bunte Welt ſieht, wie ſie die Kirche barfuß und in zerſchliſſenen Kleidern
betritt, zum Entſeßen des Pfarrers und der vornehmen Leute, die mit ſtrafendem
Blid verdammen, wo Verſtehen beſſer wäre. Jugend und Buch, Jugend und Straße,
Jugend und Natur, Jugend und Maſchine, vas junge Mädchen -- alles zieht ſeoliſch
jo fein gedeutet an uns vorbei, jedes Kapitel eine ſtille Offenbarung, =- und hinier
den Zeilen ſteht für den Seelenkundigen erſt das weite, weite Buch.
Was über Gottfried und die Magd geſagt wird, gehört zum beſten, was wir je
geleſen haben, ſo gewaltig und tragiſch haben wir nie in knappen Säßen die ſexuelle
Lebenswende und das Verſagen aller gutmeinenden Regeln geſpürt. Das iſt woyl
der Höhepunkt des ganzen Buches. =- Außerordentlich gut getroffen und vielſagend
jür jede Zugendgemeinſchafſt iſt das Kapitel „Marie“. Das Mädel beſiegt die