Arbeiter-Jugend ' 355
Luftſchiffer und haben ihre Kunſt ſchon ausgeübt, lange bevor an Zeppeline gedacht wurde,
Sie klettern einfach auf- eine erhöhte Stelle, etwa einen Baum, einen Felſen, und ſpinnen
nun ihr Flugzeug in kurzer Zeit ſelber, nämlich einen langen Faden, frei in die Luft hin-
aus; und wenn er lang genug iſt, laſſen ſie ſich los und fliegen, wie weiland Dr. Fauſt auf
ſeinem berühmten Mantel, . über weite Stre>en Landes hin, bis ſie ſchließlich an irgend-
einer Stelle feſtgeraten. Wahrlich, einfacher gehts nimmer.
Und meine Gedanken fliegen mit; und troß der Luſtſchifferſpinnen denke ich mit Stolz
daran, daß aud) Der rajilofe Menſchengeiſt in langem, zähem Streben das Reich der Luſt
erobert hat und ſeine Flugmaſchinen über Länder und Meere hin nach ſeinem Willen lenkt.
Und jo wirds weitergehen, immer raſtloſer, immer kühner; jedes erreichte Ziel wird neue
Ausbli>e und neue Aufgaben ſchaffen. Ein Ende auf dieſer Bahn iſt kaum denkbar. Alles
Bergangene iſt nur Stufe zu weiterem Auſſtieg, und unter dem welken Herbſtlaub entwickeln
ſich ſchon die Keime, die im nächſten Frühling aus ihrer dunklen Tiefe zum Licht empor-
drängen werden. Und in den Tiefen der Menſchheit ſind ſchon jezt die Kräfte wirkſam, die
einſt die Menſchheit emporführen werden zum Menſchheitsfrühling. Darum: Empor die
Herzen! „Vieles Gewaltige lebt; doch nichts iſt gewaltiger als der Menſch.“ --
Der fremde Garten,
Von A. Jellinek, Wien.
“n d) bin eigentlid) nur durch Zufall dazu gekommen, denn bisher habe ich mich nnt diefen
W unreiſen Kroppzeug nie abgegeben. Es iſt mir nichts ſo unverſtändlich wie das Gelue
>. y dieſer Mädel. Geht man auf der Straße, ſo trifſt man ſie, wie ſie Arm in Arm und eng-
verſchlungen in langen Ketten einherkfommen, die den Gehſteig und die halbe Straße füllen.
Laviert man zwiſchen dieſen Ketten und den Wagen hindurch, dann kichern und lachen ſie,
als ob man für ſie eine Vorſtellung gäbe, Oder im Vollksheim. Da ſtehen ſie in ganzen
Gruppen auf den Stehplätzen und verdrängen das ſolide Publikum. Fällt jemand etwas zu
Boden oder paſſiert ſonſt irgendeinem ein kleines Verſehen, dann plaßen ſie los und lachen
und tuſcheln eine geſchlagene Stunde und ſtören die ganze Vorſtellung,
Natürlich wird man meine Kritik wieder auf Rechnung der ſagenhaften „Flegeljahre“
ſetzen. Die Flegeljahre wären nachgerade das germgſtie, vas mid) beſchwert, aber es tit ſchon
jo bei den Menſchen: wo die Vernunft nicht gerhalten kann, da ſuchen ſie den Grund im
Biologiſchen oder Pſychologiſchen.
Aber ich will zur Sache kommen. Ein Mädel aus unſerem Hauſe, mit dem ich als Bub
viter geſpielt habe -- ein Range faſt ſo groß wie ich --, tritt neulich auf mich zu und fragt
mich: „Du, gell ... du gehſt Sonntag auch immer 'raus?“
„30“, jag' ich.
„Vohin gehſt du denn immer?“ Ich meſſe ſie mit einem ſo gewiſſen Blick, darauf errötel
ſic flüchtig und ſagt: „Weißt, es iſt nämlich ſo: Wir gehen immer ein paar Mädel zuſammen
"raus. Und Sonntag, da ſind wir beläſtigt worden. Na, es war ja net viel, aber ich war ſo
vumm und hab's meiner Mutter erzählt, und jetzt will ſie mich nimmer laſſen. Weil ich aber
jv todunglüclich war -- weißt, die ganze Woche freut man ſich ſchon drauf --, ſo hat ſic
gſagt, ich joll dic jragen, vielleicht gehſt du mit uns, du biſt ein anſtändiger Burſch unt
ein großer Lackel -- ſv hat nämlich mei Mutter g'fagt =- und da traut ſich niemand ſo bald
an uns ran.“
Was ſollte ich da tun? Springt uns eine Bitte an den Hals -- paar arme, durſtige
Geelcen flüſtern: Wo wohnt die Weite? Laß uns hinaus! --, kann man da nein ſagen?
Alſo, es bleibt mir nichts übrig, ich ſage ja, und es wird ſofort alles abgemacht,
- Bei der Elektriſchen ſollen wir mit den andern zuſammentreffen. Weil die Hannerl imi
Hauſe wohnt, hol' ich ſie gleich von da ab. Sie iſt natürlich noch nicht fertig. Ihre Mutter, ein
tleines, zartes Frauchen -- zwei Köpfe kleiner als ihre Tochter --, ſchleppt gerade einen Arm
voll Proviant herbei, den ſie Hannerl in den Ruckja> packen ſoll. Dieſe kriegt vorerſt einen
Rührungsanfall, wirſt den Rudſa> beiſeite und nimmt ihre kleine Mutter in den Arm.
„Summ, kumm!“ ſagt ſie dabei in einem Tone, wie man etwa zu einem Wickelkind ſpricht,
bann wiegt ſie ſie, herzt ſie, ſchle>t ſie ab, und dann ſeßt ſie die ſich heftig Sträubende mitten