Full text: Arbeiter-Jugend - 17.1925 (17)

v4 Arbeiter-Jugend . 
Winkerionnenwenbve in den Bergen. 
Yon Okfo Kritile. 
aA in bejeheivenes Häuflein der Münchener Arbeiterjugend Nordweſt marſchierre am 
8 BY“ erſten Weihnachtstag mit der auſgehenden Sonne die alte Keſſelbergſtraße von Kochel 
Wf um den Walchenſee nach Mittenwald, jene Straße, die einſt ſchon Goethe gezogen war, 
als er das Land jeiner Sehnſucht beſuchte. Der tief in die Berge gebettete twüc>iſche Walchenſee, 
von vem die Sage geht, daß er keines ſeiner Opfer zurü&gibt, lag ſpiegeiglatt, dunkelgrün 
und unergründlich wie das Auge des Berggeiſtes, Die Luft war warm wie im Frühling, 
umd zeitweilig ſtrich ver Föhn wohlig um vie Köpfe, daß nach und nach ein warmes Kleidungs- 
fiüd rac) vem andern ſiel. Nach einer ausgedehnten Frühftüc>spauje mit luſtigem Geſpräcy) 
und Gejang zur Laute zog Gruppe Nordweſt oder, wie ich als Jugendleiter ſie manch- 
mal halbſchmerztich-ſc)erzhaft zu nennen pflegte, „Wildweſt“ die abwechſlungsreichen Buchten 
entlang, um am Forſthaus Einſiedel zu dem 1330 Meter hohen Hochkopf aufzuſteigen, wo in 
Der Najurfreundehütte ein gemütliches und billiges Heim auf ſie wartete. 
Der Abhang war faſt ſhnee- und eisfrei, nur auf der Höhe lag, ungeſähr 25 Zentimeter 
hoch, pulvriger Schnee. An manchen Stellen waren durch beſondere Einflüſſe Schneekriſtalle, 
jternen- und blattſörnig, entſtanden und es ſah aus, al35 ob der Weg- und Waldboden mit 
jeingegliederten Blumen überſät ſei, ſo wunderbar verteilt waren die einzelnen Kriſtallbündel. 
Und an den Hängen neben der Hütte, da drängte es ſich wirklich ſtellenweiſe himmelblau und 
gelb hervor: Blumen am Weihnachtstag! Und hier und da ſproßen an Bäumen und 
Sträuchern, die am längſten von der Sonne umſc<meichelt waren, neite Trieve hervor, Boten 
Des neuen Frühlings, Künder von ſchöneren Tagen, deren kurzes Daſein nur beſtimmt ſcheint, 
die Hojſnung nicht ſterben zu laſſen. 
In der Hütte waren außer dem liebenewäürdigen Hüttenwirt „Nudl“ Franz und feiner 
allezeit umſichtigen, luſtigen jungen Frau vier Gäſte anweſend, ſo daß es an Plaß nicht 
mangelte. Rings um den Berg führt ein ſogenannter Rundgang, von dem aus der Bli> ein 
wechjelvolles Panorama umfaßt, wie es viele höhere Berge nicht bieten. Tal um Tal, Bera- 
wand und Bergſchroffen tauchen auf; nur nach Urfeld, über die Länge des Walchenſees, 
zwiſchen Jochberg und Herzogſtand, öffnet ſich die Rundkuliſſe der Berge und geſtattet eine 
prächtige Sicht ins Flachland bis weit über den Starnberger- See hinweg. Und am. „JIſar- 
bantl“, wo der Berg zieinlich juh ins Tal der jungen Iſar abfällt, läßt es ſich im Sonnenſchein 
wunderbar träumen. Das Rauſchen der Waſſer und allerlei Werktagsgeräuſche klingen, zur 
Melodie geläutert, gedämpft herauf. | 
Was wunders, daß ſich ſchon am zweiten Tage, etwas zögernd zwar, aber doch ent- 
ſchieden die Meinung durchdrang: Wir bleiben heute noch! Und ſie blieben den zweiten, den 
dritten und auch ſaſt die Hälfte des vierten Tages, bis die Rſlicht zur Heimfahrt rief. Am 
zweiten Geiertag wurden zwei Jugendgenoſſen, die jchmerzlicherweiſe nur zwei Tage frei 
hatten, in einem Sdcjiſſlein über den See gebracht, das „lc>te“ wie ein durjtiger Fuhrlnecht. 
Aber das erhöhte nur die Romantir. 
Der Tag ging im Genuß der Sonne und der Ungebundenheit in kräſtigender. reiner Luſt, 
ver Abend mit Geſang und Geſellſchaſtsſpielen viel zu raſch dahin. Sobald das Karwendel- 
gebirge im langjam verglühenden Feuer der ſcheidenden Sonne ſiand, tauchten am klar- 
dunielblauen Himmeil die erſten Sterne auf; immer mehr ſolgten und dann kam die Milch- 
ſtraße mit ihrem leitenden Sternjtaubſcleier. Die Bergrieſen mit den wuchtigen, durch die 
Duntkelijeit verfeinerten Konturen, auf dem Herzogſiand die Lichtor des Hotels, aus dem 
Tal die Flämmchen der Wohnungen, wie winz ige Leuchttäſferlein, ein ſaſt zärilicher Haue) 
aus dem Unbefannten, und über alledem ver ewige Sternenhimmel in wunderbarer Pracht --- 
wahrhajtig, man lernte verſtehen, daß die in innigſter Verbindung mit der Natur levenden 
primitiven Bölfer kindlichguten Gemüts ſind, und daß alle Lüge, alle Niedertracht und Roheil 
ein Prodult diejer Geſellſchajt iſt, die mit allen Kräſten unſeros Geiſtes bekämpft werden 
muß, damit eine neue ſoziale Ordnung es dem Menſchen leichter macht, gut zu ſein. und das 
Wort Sirindberas „Der Menſch iſt gut, die Menſchen ſind böſe“ ausgelöſcht wird. 
Am Abend des -zweiten Feiertags gegen i0 Uhr huſchte eins Geſtalt mit brennender 
Tadel zu einem nahegelegenen kleinen, kahlen Hügel. Einige Minuten ſpäter ſlanzmte ein 

	        
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