102 Arbeiter-Jugend "
Liebe Eltern, habt etwas Nachſicht. Es iſt kein Herumtreiben, es iſt ja nur die
große Freundſchaft, die uns in guter Geſellſchaft manchmal etwas länger beiſammen-
hält. Aber auch ihr, liebe Jugendfreunde, ſeid vernünftig! Uebertreibt nicht. Die
Eltern haben recht, wenn ſie beſorgt ſind, daß ihr zu wenig Schlaf kriegt. Ihr braucht
ausreichenden Schlaf, um die verbrauchten Kräfte zu erneuern, denn dazu iſt der
OCchlaf da. Ihr braucht den Schlaf doppelt notwendig, weil ihr in ſtärkſtem Wachs-
tum ſteht, der Körper ſich re>t und dehnt; ihm müſſen nicht nur die tags ver»
brauchten Kräſte erſetzt, ſondern darüber hinaus auch neue hinzugefügt werden. Was
der Gchlaf dazu beiträgt, das wird in nächſter Zeit ein beſonderer Aufſatßz einmal
zeigen. '
Wir dürfen natürlich nicht jed en Abend etwas veranſtalten. Der Wunſch der
Iugendlichen iſt ja häufig auf tägliches Zuſammenkommen gerichtet. Das iſt ver»-
ſtändlich, ſie brauchen nach der Tagesarbeit eine Abwechſlung, eine Erheiterung;
ſie finden ſie im Freundeskreis der Jugendgruppe. Und wenn man ſich, was viele
Eltern nicht vergeſſen dürfen, einmal vor Augen ſtellt, wie es um Familie und
Wohnung in vielen Fällen beſtellt iſt, dann tritt ein weiterer Grund für regſte Für»-
ſorge der Jugendorganiſation in Erſcheinung. Aber trozdem, wo einem Jugend»
freund die Möglichkeit gegeben iſt, in der elterlichen Wohnung ein ruhiges Rläßchen
zum Leſen einzunehmen, da ſoll er es tun. Es iſt durchaus für die eigene Fort-
bildung erſorderlich. Hütet euch vor dem zuvielen Herumſlattern. Wenn wir überall
Jugendheime hätten, dann böte ein Leſeſaal auch den in bezug auf Elternhaus
weniger glücklich Geſtellten einen ſolc< ruhigen Ort der Beſinnung und Vertiefung.
Allerdings --- wenn wir am Sonntag im Hauſe bleiben ſollen, dann müſſen wir
uns wehren, ſo friedlich wir auch ſein wollen. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß es Vater
und Mutter, die werkiags in aller Frühe auſſtehen müſſen (und die ſich bann manch-
mal flüchtig am Sohn oder der Tokier, die auch zur Arbeit früh rausmüſſen, zu
ärgern haben, weil die nicht aus den Federn finden können), wenig paßt, wenn ſie am
Sonntag, am Ruhetag, auch ſo früh aus dem Bett ſollen, weil der Junge oder das
Mädel auf Wanderſchaſt will. Dieſe Differenz können die Jugendlichen beſeitigen,
indem ſie immer flink aus dem Bett ſteigen, indem ſie ihren Ruckſa> ſchon
Samstagabend fertig machen und ſich Sonntags ſrüh, möglichſt ohne Mutter und
Vator zu ſtören, aus dem Haus ſchleichen. Das geht! Ich hab's ſelbſt oft genug
probiert.
Aber wie ſteht's damit, daß die Jugendlichen ganz zu Hauſe bleiben ſollen,
damit die Familie doch einmal in ver Woche ganz beieinander iſt? Das geht --
ſehr ſchwer. Aber welchen Ellern iſt denn ein Stubenho>er lieber als ein friſcher
Springinsfeld? Die Eltern ſollten die Jugendlichen nie von der Wanderfahrt zurüc&-
halten. Welch großer Fortſchritt iſt es, daß die Arbeiterjugend wandert! Laßt ſie
doch marſchieren, friſche Luſt atmen, übers Land ſchauen, vabei lernen, ſingen und
ſpielen. Es wird dazu beitragen, daß eine körperlich und geiſtig erfriſchte Arbeiter»
generation heranwächſt, die in der proletariſchen Lebensenge kein Genüge mehr
findet und eine neue Welt will. Gtimmt ihr Eltern uns nicht zu, wenn wir jagen:
Beſſer die Stiefelſohlen auf der Landſtraße, als auf dem Tanzſalon abgenußt, beſſer
iſt das Taſchengeld ſür Fahrgeld und für Bücher verwendet, als für Zigaretten
und Alkohol. Alſo entlaßt den Sohn und die Tochter, ſo oft jie zu wandern wünſchen,
gus der ſonntäglichen Familiengemütlichkeit. Das Bewußtſein, einen friſchen,
kräftigen Jungen oder ein ebenſol<es Mädel zu haben, die in guter Geſellſchaſt durch
Wald und Flur wandern, iſt beſſer, als wenn ein mürriſcher, unfriſcher Sohn in
der Stube hockt.
Gönnt der Jugend auch die Bücher, ihr Eltern, die ſie ſich erwirbt. Seid nicht