104 Arbeiter-Jugend
Gewerbeordnung wurde dann von dem im Jahr 1871 errichteten Deutſchen Reich
übernommen. Der 8 152 der Reichsgewerbeoerdnung iſt jezt noch die geſeßliche
Grundlage der Gewerkſchaften.
Wenn man von einigen vorübergehenden Erſcheinungen im Jahr 1848 abſieht
(damals beſtanden für kurze Zeit Gewerkſchaften der Buchdrucker und der Tabaks-
arbeiter), kann man den Beginn einer Gewerkſchaſtsbewegung in Deutſchland vom
Jahr 1868 ab datieren. Geburtshelfer dieſer Bewegung waren politiſche Parteien.
Die ſozialdemokratiſche Bewegung beſtand damals erſt ſeit wenigen Jahren, aber
ſie war in zwei Richtungen geſpalten, die ſich mit einer Schärfe bekämpften, von
der man ſich aus Vorgängen in der jüngſten Zeit eine Vorſtellung machen kann.
Bon beiden Richtungen wurden Gewerkſchaften gegründet, die ſich entſprechend der
Cinſtellung ihrer Väter feindlich gegenüberſtanden. Im Jahr 1875 erfolgte die
Verſchmelzung der beiden Richtungen zur Sozialdemokratiſchen Arbeiterpartei, und
dieſem Beiſpiel folgten auch bald die Gewerkſchaften,
Der nunmehr einigen Gewerkſchaftsbewegung war aber kein langes Leben
beſchieden. Das Wachstum der ſozialdemokratiſchen Partei fiößte den herrſchenden
Gewalten Angſt ein und Bismar>, der allmächtige Gebieter in Deutſchland, beſchloß,
Jich der unbequemen Bewegung mit Gewalt zu entledigen. Im Jahre 1878 wurden
kurz hintereinander zwei Attentate gegen ven alten Kaiſer Wilhelm 1. verübt.
Zunöüchſt ſchoß ein verkommenes Subjekt, der Klempner Hödel, der in der anti»
ſemitiſchen Bewegung des Hofpredigers Stö>er eine Rolle geſpieli hatte, eine
Piſtole gegen den Kaiſer ab, ohne ihn zu verletzen. Dagegen wurde dieſer ver»
Wwundet von dem Schuß aus der Schrotflinte, die einige Monate ſpäter der national»
liberale Dr. Nobiling gegen ihn abſeuerte. Dieſe Attentate, mit denen die Sozial»
Demokratie abſolut nichts zu tun hatte, benußte Bismar> als Vorwand für den
großen Schlag gegen die Sozialdemokratie. Im Volk wurde die notwendige Haß-
ſtimmung erzeugt, und der eingeſchüchterte Reichstag beſchloß das Sozialiſten»
gejeß, das die ſozialiſtiſche Arbeiterbewegung vogelfrei machte. Nicht nur die
ſozialdemokratiſchen Organiſationen wurden aufgelöſt und ihre Zeitungen ver»
boten; -- entgegen den bei der Beratung gegebenen ſeierlichen Zuſicherungen ver»
fielen auch die Gewerkſchaften, die ſich eben zu entwickeln begannen, dem
Bannſtrahl. Sie wurden mit ganz wenigen Ausnahmen, von denen der Verband
der Buchdrucer die bemerkenswerteſte iſt, auſgelsſt. --
Mit der Unterdrückung der Gewerkſchaften waren wohl die Fäden zerſchnitten,
die die Gewerkſchaſtsmitglieder an den verſchiedenen Orten miteinander verbanden,
an den einzelnen Orten ſelbſt ließ ſich aber der Verkehr der Berufsgenoſſen mit»
einander nicht unterbinden. Vielfach beſtanden örtliche Fachvereine, die allerdings
ein recht fümmerlicyes Daſein führten. Gegen die Mitte der achtziger Jahre begannen
auch wieder, zunächſt zaghafte, Verſuche, neue Zentralverbände ins Leben
zu rufen. Gewerkſchaftsblätter wurden gegründet, und ſie bildeten in manchen
Fällen den Zentralpunkt, um den ſich die Organiſation ſammelte. Die jungen
Zentralverbände mußten ſehr vorſichtig operieren, um die Klippen des Sozialiſten-
geſeßzes zu umſchiffen. Es waren vornehmlich die jüngeren Kollegen, die ſich zunächſt
um die Banner der Organiſation ſcyarten. Als wertvoller Kitt für den Zuſanumnen»
halt erwies ſich die Reiſeunterſtüßung, die den wandernden Mitgliedern
gewährt wurde. War doch das Wandern der jungen Handwerker ein Brauch, der
damals noch viel mehr geübt wurde, als das heute der Fall iſt. Die Unterſtüßzungs»
leiſtung führte allerdings dazu, daß ſich die Gewerkſchaften dagegen wehren mußten,
als Verſicherungsvereine unter ſtaatliche Auſſicht geſtellt zu werden.
Ein anderes Hindernis waren die ſehr unterſchiedlichen Vereinsgeſeße