Full text: Arbeiter-Jugend - 18.1926 (18)

136 Arbeiter-Jugend 
Hierzu brachte der franzöſiſche Delegierte Lavigne, als Vertreter des Verbandes 
ſranzöſiſcher Syndikatskammern und Korporativgruppen, einen Antrag ein, der 
jür den 1. Mai 1890 eine große internationale Kundgebung zugunſten des Arbeiter- 
ſc<ußes forderte. Der 1. Mai wurde gewählt, weil der „Amerikaniſche Arbeiterbund“ 
(Pederation of Labor) auf ſeinem Kongreß in St. Louis 1888 bereits ſür den 
1. Mai 1890 eine ſolche Kundgebung beſchloſſen hatte. Der Antrag Lavigne ver» 
langte, daß in allen Ländern und in allen Städten die Arbeiter an die öſſentlichen 
Gewalten (Behörden) die Forderung richten ſollten, den Arbeitstag auf acht 
Stunden feſtzuſetzen. 
Die Vertretung der Sozialdemokratie in den Parlamenten der Länder und 
Gtädte war 1890 viel weniger zahlreich als heute. Beſonders in den Städten. Am 
Tag der erſten Maifeier galt in Deutſchland das Sozialiſtengeſelz noch, wenn es 
durch den großen ſozialdemokratiſchen Wahlſieg vom 20. Februar 1890 auch bereits 
zum Tode verurteilt war. Die Maſſen erſchienen daher am 1. Mai 1890 ſelbſt auf 
dem Plan und veranſtalteten mächtige Kundgebungen für die Klaſſenſorderungen 
der Arbeiterſchaft. In den Induſtriezentren wurde als kräftigſte Form der Feier 
die Demonſtration durch Arbeitsruhe gewählt. Noch nie hatte in der ganzen zivili» 
ſierten Welt ſo ſchnell eine Parole die Maſſen erweckt und begeiſtert als der inter? 
nationale Werberuf des Sozialismus: Her mit dem Arbeiterſchutz! Hoch der Acht 
ſtundentag! ' 
Das glänzende Gelingen der erſten Maiſeier hatte zur Folge, daß ſich die 
Maiteier unausrottbar einlebte, ſoviel auch über die beſte Form der Feier die An- 
ſichten auseinandergingen. Die Maiſeier mußte populär werden, weil die Gedanken 
einer Klaſſe, die die Welt erobern will, darauf gerichtet ſein müſſen, ihre Glieder 
geſund zu erhalten. Vorbedingung der Erhaltung eines Geſchlechtes kräſtiger Ar- 
beiterinnen und Arbeiter ijt aber ein wirkſamer Arbeiterſchulz. 
Wie ſehr die Propaganda für die ſozialpolitiſchen Forderungen der Arbeiter» 
flajſe urſpyrünglic) der einzige Zwe> der Maikundgebungen war, geht daraus her- 
vor, daß auf dem internationalen Kongreß in Brüſſel 1891 ein Antrag Vaillant, 
der Maidemonſtration auch den Charakter der Friedensdemonſtration zu geben, 
gegen die Stimmen der Deutſchen, Schweizer, Ungarn und Franzoſen abgelehnt 
wurde. Erſt der Züricher Kongreß 1893 beſchloß die Kundgebung des 1. Mai für 
den Achtſtundentag zugleich zu einer Kundgebung ſür den internationalen 
Frieden zu machen, der allerdings erſt dann geſichert ſei, wenn die Klaſſenunter» 
ſchiede beſeitigt und innerhalb jedes Volkes der Frieden hergeſtellt ſei. Kein Wunder, 
datz das zweite Loſungswort, das der Züricher Kongreß den Maiſeiernden gab, das: 
„Krieg vem Kriege!“ die herrſchenden Klaſſen noch nervöſer machte. Nicht nur in 
Rtßlſand, auch in Deutſchland wurden bereits am 1. Mai 1890 die Kanonen bereit 
gehalten gegen die Maiſeier. Staat und Unternehmer arbeiteten in der Bekämpfung 
doer Maiſeier „Hand in Hand“. 
Trotzdem ging es in allen Ländern vorwärts. Gerade die Maifeier, die die an 
die Fabrifſen und Werkſtätten die Woche über gefeſſelten Maſchinenſklaven hinaus 
in die Freiheit der Natur führte, hat viel dazu beigetragen, den Samen des So»- 
zialis mus auf dem platten Lande auszuſtreuen. Ebenſo wie die Maifeier unter 
ven Frauen der Sozialdemokratie viele Freunde warb. Auf dem Pariſer Kongreß 
wurde die Notwendigkeit der politiſchen Aufklärung der Frau im Sinne des Sozia» 
ſismus mit aller Schärſe betont und die Arbeiterinnen zum Eintritt in die gewerk» 
ſchaftlichen Organiſationen aufgefordert: „Der gleichen Arbeit der gleiche Lohn!“ 
Vegeiſtert beteiligte ſich auch die Jugend an den Kundgehungen des 1. Mai. 
Zur Förderung der BVildungsbeſtrebungen der proletariſchen Jugend und zum
	        
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