Full text: Arbeiter-Jugend - 18.1926 (18)

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Jich beim pelniſchen Auſſtand nicht um eine bloße Militörrevolte handelt, geht j<hon 
daraus hervor, daß ſich die Arbeiterorganiſationen dem aufſtändiſchen Marſchall 
Pilſvdſki, der unter dem Banner der Demokratie die herrſchende Diktatur bekämpft, 
angeſchloſſen haben. Und auch hier war, noch ehe der Kampf entſchieden, ein ſür die 
Sache des dortigen Sozialismus hoch erfreuliches Ereignis zu verzeichnen: daß in 
Not und Gefahr endlich eine Annäherung der bisher ſich feindlich gegenüberſtehenden 
veiden ſozialiſtiſchen Parteien Polens, der polniſchen und der deutſchen Sozial- 
demofratie ſich vollzogen hat, ſo daß ihre organiſatoriſche Einigung hoffentlich bloß 
mehr eine Frage der Zeit iſt. 
Und Deutſchland? Der Flaggenſtreit, die Verordnung der früheren Luther» 
Regierung hat mit Recht unter den Volksmaſſen hellflammende Empörung hervor» 
gerufen. Kaum einer unter den vielen Millionen überzeugter Republikaner iſt ſich 
darüber im Unklaren geweſen, daß dieſer hinterliſtige Ukas in der Abſicht ſeiner Ur» 
Heber bloß den erſten Schritt zur endgültigen Beſeitigung des in der Weimarer Ver» 
faſſung feierlich feſtgelegten ſchwarzrotgoldnen Banners der Republik bedeuten ſollte. 
Gerade an den Stellen, an denen weithin ſichtbar die Hoheitszeichen eines Landes 
anderen Völkern von deſſen Weſen und Geiſt Kunde geben, ſoll künftig die Fahne 
der alten fluchbeladenen Hohenzollernmonarchie, unter der das deutſche Volk in den 
Weltkrieg getrieben wurde, gehißt werden, damit im Ausland ja kein Zweifel herrſche, 
Daß ſich troß Staatsumwälzung und Republik im Deutſchen Reiche nichts geändert 
habe. Und dieſer Streich gegen die Republik wurde ausgerechnet zu einer Zeit gewagt, 
als eben viele Millionen deutſcher Staatsbürger und Staatsbürgerinnen in der Unter» 
Ichrijtenſammlung zum Volksbegehren ein leidenſchaftliches Bekenntnis zur republi» 
kaniſchen Staatsform abgelegt hatten. 
Cs kam hinzu, daß gerade in dieſen aufregenden Tagen ein weiterer Anſchlag 
auf unſeren Volksſtaat ans Licht gezogen wurde. Aus unzweideutigen Anzeichen und 
beſchlagnghmten Dokumenten ging hervor, daß die nationaliſtiſchen hakenkreuzleriſchen 
Verbände einen Staatsſtreich planten. Fix und fertig ausgearbeitet war bereits der 
Veldzugsxlan für den Bürgerkrieg. Die Republik ſollte geſtürzt, jeder Widerſtand im 
Blut erſti&t werden. Eine faſchiſtiſche Diktatur, deren Häupter bereits beſtimmt 
waren, ſollte die Hohenzollerndynaſtie wieder zur Herrſchaſt bringen. Daß dieſer 
Putſchplan in einem inneren Zuſammenhang mit der von den reaktionären Hinter- 
männern der Koalition herauſbeſchworenen Regierungskriſe ſtand, lag auf der Hand; 
in der Berwirrung, die die Kriſe im Gefolge haben würde, gedachten die Putſchiſten 
ihr hochverräteriſc<yes Unternehmen erfolgreich in Gzene ſeen zu können. 
So ſchien alles zu klappen; die Gewäſſer waren aufgerührt, und die Fiſcher, die 
im Trüben ſiſchen wollten, ſtanden bereit. Aber zu ihrer Verblüfiung ergab ſich, daß, 
wie in der Natur, auch im politiſchen Leben nicht alle Blütenträume reifen. An vem 
Slaggenſtod, den er in ſeiner „Verordnung“ errichtet hatte, barmelte, noch ehe er die 
Ichwarzweißroten Farben mit der Verlegenheitsgöſch hiſſen konnte, Herr Luther ſelber. 
Die Hakenkreuzler aber nahm ſich rechtzeitig die preußiſche Polizei beim Wickel. Ihre 
kompromittierten Organiſationen wurden aufgelöſt, ihre Gelder und Waffen, ſoweit 
man ihrer habhaft werden konnte, beſchlagnahmt, die Führer wegen Hochverrats in 
Anklage verſetzt. Was übrig blieb, war die Kriſe, wieder einmal d i e Kriſe, die das 
deutſche Volk nachgerade als Dauerzuſtand ſeines Staat5sweſens hinzunehmen ſich 
gewöhnt hat, als hiſtoriſche Vergeltung für vie vielen Unterlaſſungsfſünden, deren es 
ſich vei ſeiner „Revolution“ ſchuldig gemacht hat. 
Welche endgültige Löſung dieſer neueſte Wirrwarr ſinden wird, iſt zur Stunde, 
da dieſe Zeilen geſchrieben werden, nicht abzuſehen. Die Sozialdemokratie hat von 
vornherein erklärt, daß ſie ſich der Verantwortung, die ihr ihre Mitwirkung beinz
	        
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