Full text: Arbeiter-Jugend - 18.1926 (18)

Arbeiter-Jugend „75 
Giordano Brunos Markerkod für die Freiheit des Denkens, 
"Von Dr. Viktor Engelhardt. | 
Wir bringen im folgenden einen kleinen Abſchnitt aus dem eben in 2. Aufs» 
lage erſchienenen, empfehlenswerten und billigen Reclambändchen des Ver- 
faſſers „Weltbild und Weltanſchauung vom Altertum bis zur Neuzeit“. Reclams 
Univerſal:Bibliothek Nr. 6252-6255. Preis broſch. 1,60 Mk. 
3 115 Icheint Heute ſelbſtverſtändlich zu ſein, was Kopernikus lehrte: daß die Erde 
8 1 jich um die Gonne bewegt. Wir können uns darum gar nicht mehr vorſtellen, 
kB» wie ſehr dieſe Gedanken die Geiſter erregten, wie ſie einfach alles über den 
Haufen warfen, indem ſie den Menſchen aus ſeiner Stellung im Mittelpunkt der Welt 
verdrängten und ihn damit ſeiner ungeheuren Bedeutung als Zweck und Endziel der 
Schöpfung enthoben. Jammer und Blut kleben an der neuen Lehre, und Märtyrer 
wurden die, welche für ſie eintraten und ſie zu verteidigen wagten. Sie hatten eben 
nicht nur gegen alte Denkgewohnheiten der Menſchen zu kämpfen, ſondern hatten 
eine Weltanſchauung niederzuringen, die innig mit der größten politiſchen Macht 
Der Tage verknüpft war, mit der Macht der Kirche, welche nach ihrer Bedrohung 
durch die Reformation kein Mittel ſcheute, um ihre Gegner zu vernichten, und vom 
Standpunkt ihres natürlichen Selbſterhaltungstriebes auch kein Mittel ſcheuen durfte. 
Und dody), die neuen Gedanken waren unüberwindlich ſtark, ſie troßten aller 
Reaktion, ſie troßzten und ſiegten nach langem Kampf.. 
Der erſte, der größte Kämpfer war ein ſeltſam begeiſterter Mann, ein Mönch, 
Giordano*) Bruno. Er wurde zu Nola bei Neapel im Jahre 15438 geboren. Im 
fünfzehnten Lebensjahre trat er unter dem Namen Giordano als Novize (Prüfling) 
in das Kloſter des heiligen Dominikus in Neapel, wohl um ſich iroß ſeiner Armuk 
ungeſtört den Gtudien hingeben zu können. Bald kam es zu Zuſammenſtößen mit 
den Vorgeſetzten. Sein freier Geiſt konnte ſich unter das Dogma nicht beugen. Die 
Welt des Mittelalters wurde zu eng, „als des Kopernikus mahnendes Wort an die 
Pforten der Jünglingsſeele ihm pochte“. Er lieſt verbotene Bücher und macht ſich 
verdächtig. Er muß, um drohender Gefahr zu entgehen, die Mönchskutte ablegen 
und fliehen. Ein ruheloſes Leben treibt ihn durch die Schweiz und durch Frankreich 
von Univerſität zu Univerſität, bis nach England. Hier verlebt er, im Hauſe des 
ſranzöſiſchen Geſandten Michel de Caſtelnau, des Herrn von Mauveſſiers, die glückt. 
lichſte Zeit ſeines Lebens. Zwei kurze Jahre dauert die Muße und bringt unſterba 
liche Werke hervor. Durch des Kopernikus Denken ſind ſie angeregt worden. 
Kopernikus! Bei dieſem Wort fühlt Bruno ſich wie von Banden befreit. Bisher 
haben kriſtallene Sphären Menſchheit und Welt wie in einem Gefängnis eingeſchloſſen 
gehalten, nun brechen dieſe Schalen entzwei, die Welt wird groß und wird weit, 
wird unendlich. Im unendlichen Raum gibt es unzählige Welten. Dieſe unendlich 
vielen Welten ſind alle einander ähnlich. Alle jene tauſend und abertauſend Fixſterne, 
die wir am nächtlichen Himmel blinken ſehen, ſind Feuerſterne, ſind Sonnen, um 
welche hewohnte Waſſerſterne, Planeten kreiſen, wie um unſere Sonne. 
Weiter und weiter ſliegt des Nolaners keine Schranken kennender Geiſt. Die 
Planeten, die Sterne ſelbſt ſind beſeelte Weſen, ſind Lebeweſen, rieſige Organismen. 
Himmel und Erde, da iſt kein Unterſchied mehr. So kann es keinen Gott geben, der 
jenſeits lebt. Auf der Erde muß er ſein, da die Erde zum Himmel gehört. Oder 
beſſer, die Erde, die zum Himmel gehört, muß ein Teil des Göttlichen ſein. Und ſo 
anch der Menſch und des Menſchen Seele. Alles fließt in eine einzige große 
Cinheit zuſammen. . 
  
 
 
*) ſprich: vſchordahno.
	        
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