Full text: Arbeiter-Jugend - 18.1926 (18)

188 Arbeiter-Jugend 
gegangen. Aber die Erde duftete mo) nach Brot. Die Feider trauerten nicht, weißt du, 
ſie waren froh und heiter wie ein Menſch, der ſeine Arbeit getan hat und nach neuen 
Zielen verraſtet. 
Nach wundervoll hingehauchtem Abendrot kam ſchnell die Nacht, atmete mütterlic, 
verbreitete Wohlgeruch und zündete die Sterne an. Das alles erlebte ich auf der Wanderſchaft. 
In der großen Stadt werden die geheimnisvollen Beziehungen des Menſchen zur Natur 
ſchr bald zerriſſen, aber nun ſpannten ſich neue Fäden aus, Brüden wie aus zarteſtem 
Mondlicht, über die alle Wunder ider lebendigen Welt, Abendrot, große Sterne, ſ]<webende 
Wolken und Rauſchen des Waldes ſich tönend bewegten. . . .“ 
„3a,“ jagte ich, „erſt, als ich auf den Straßen war, habe ich das „auch erlebt. Der 
Menſeh, nach einer alten Sage aus Erde gemacht, wird wieder zur Erde.“ 
„Oo iſt es," rief Jonas aus. „der Menſch wird wieder zur Erde und grünt und blüht! 
Gtolz und Hochmut ſchmelzen. Heimkehr beginnt. Was wiſſen wir in der Stadt von ider 
grandioſen Fülle ſelbſt der ärmſten Landſchaft! Gras, ſagen wir einmal Gras! Gras wiegt 
ſich, Gras iſt müde, Gras grünt, Gras lodert, blüht, iſt taubeſprißt oder bereift. Wir treten 
es mit den Füßen, und doch iſt es für die Welt der Käfer, Larven und Inſekten ein 
berauſchender, ſinnverwirrender Urwald, für die Bienen und Schmetterlinge das gelobte 
Land Kanaan, in dem Milch und Honig fließt. Auch viele Vögel niſten im Gras. Für die 
Kühe und Kälber iſt es eine fette Weide, und die Pferde wiehern in der duftenden Wieſe.“ 
„Aber die Käfer und Inſekten freuen ſich nicht, wenn ſie von den Vögeln gefreſſen 
werden,“ ſagte ic) und dachte an die zwei Mädchen auf idem Berg. 
Jonas, in Schwärmerei verſunken, beachtete meinen billigen Spott nicht. Seine Augen 
waren verzü>t. Dur den vollen, leicht geöfſneten Mund blißten die weißen Zähne. 
„Das iſt das Gras,“ ſagte er weiter, „das Gras. Nun denke dir die vielen Blumen 
mit all ihren Düften und Farben auf der grünen Matte, dem Teppich der Luſt; Veilchen, 
Margueriten, Bulterblumen, Löwenzahn, Tauſjendgüldenkraut -- wer kennt alle Blumen] 
Und dann die Tautropfen, in denen ſich eine kleine, harmoniſche Welt bewegt! Das ſind 
die Blumen, um die vielleicht noch viel entzü>kendere Nomane und Abenteuer kreiſen als 
bei uns, den hochmütigen Menſchen. . . .* 
„An all das erinnert dich das eine Mädchen auf dem Monte?" fragte ich. 
„An das und noch an viele andere Dinge, die ich ſpäter berühren will, wenn du ſtill 
biſt,“ ſagte Jonas, und ſein helles Geſicht wurde finſter. „Ic< kann ja auch ſchweigen," 
fügte er nad einer kleinen Pauſe hinzu. 
„Bitte, weiter erzählen,“ bat id) beſchämt 
„SCdön,“ fam die Antwort, „ich erzähle weiter . . . Denke nun an den Berg, an dei 
Wald oder an den Fluß und, wenn du ganz Überwältigt ſein willſt, an den geſtirnten 
Himmel. Haſt du noch nie den übermenſchlichen Rhythmus gefühlt, in dem ſich Welt und 
Weltall ſchwingen? In jenen blikichnellen Sekunden tanzt auch das Herz mit in der aun 
endlichen Harmonie und hört, wie es ſo ſchön heißt, die Engel ſingen. Nun, manchmal hörte 
auch ich die Engel ſingen. 
Cines Abends fand ich auf der Landſtraße ein großes, rundes Brot. Eine Bauersfrau 
wird es wohl verloren haben. Das kleine Geld, das ich auf die Reiſe mitgenominen hatte, 
war bald aufgezehrt. An jenem Abend war ich müde, verdroſſen und beſtaubt, und nun lag 
mitten im Staub der weißen Straße das runde Brot. Vorher, ſo hungrig war ich an diejem 
Tag, wollte ich ſchon ein Schotenfeld plündern, doch ein Bauer war wachſam und hetzte den 
Hund auf mich. . 
Sage mir, glaudſt du an Gott?" wandte ſich der Erzähler mit ganz anderer Stimme 
mir zu, 
Die Frage kam ſo überraſchend, daß ih keine Antwort fand. Wir waren unterdeſſen 
nach dem alten, heidniſchen Tempel der Veſta gekommen, einem wundervollen runden 
Säulenbau in der Nähe des Tibers. 
„Lächle nicht,“ ſuhr Jonas fort, als er in meinem Geſicht gelinden Spolt entdeckte. „Ich 
meine nicht den alten Jehova und ſeine himmliſchen Heerſcharen, an den glaube ich auch 
nicht. Aber ich glaube an den perſönlichen Gott des einzelnen, der immer und immer wieder
	        
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