216 Arbeiter-Jugend
Aufmarſch der Deſterreicher. Und die öſterreichiſchen Mädel, die geſallen den Kölnern außer-
ordentlich gut. Dod) „Alle haben ja Bubiköpſe“, rufen die in Fragen der Haartracht etwas
konſervativen Kölnerinnen,
Jad) Holland! .
Am nächſten Vormittag ſteht der Sonderzug nach Holland bereit, Er führt etwa ſünf-
hundert Teilnehmer mit ſich, außer den ODeſterreichern und ſüdweſtdeutſchen Jugendlichen ſind
noch die Rheinländer dazugekommen. Die Front des Zuges iſt eine einzige rote Fahnenreihe.
Wieder ſind zahlreiche Kölner Genoſſen und Genoſſinnen auf dem Bahnhof. Unter ſtürmiſchen
„Freiheil!"- und „Freundſchaft!“-Ruſen ſeßzt ſich der Zug in Bewegung. Die Kölner haben
jedem Deſterreicher ein tüchtiges Proviantpaket mitgegeben, und ſo leidet niemand Not. Wir
nähern uns der Grenze und haben nun die deutſche Grenzſtation Emmerich paſſiert, und alle
ſpähen aufmerkſam hinaus, ob nicht irgendwo eine richtige Grenze -- Bretterzaun, Wall
oder Mauer -- zu ſehen iſt; nichts dergleichen! Statt deſſen ſahren wir in die volländiſche
Grenzſtalion Zevenaar ein. Dort heißt's: „Alle Deutſchen ausſteigen, Deſterreicher in den
Waggons bleiben!" Nanu, was ſoll das? Bald aber erfahren wir's und erbleichen: Eine
gründliche Bekanntſchaft mit dem holländiſchen Bureaukratismus ſteht uns bevor; das
holländiſche Sammelviſum für die Deſterreicher iſt nicht da, und wir ſollen ſolange in der
Grenzſtation ſitzen bleiben, bis die viſierte Liſte aus dem Haag eingetroffen iſt! Schöne Aus-
ſiczten! Bei den Deſterreichern, die ſehen, wie die Deutſchen mit ihren Päſſen ohne Viſum
(zwiſchen Holland und Deutſchland beſteht kein Paßzwang) , ſtolz und erhobenen Hauptes
zur Kontrolle gehen und auf der anderen Seite froh und heiter wieder auftauchen --- b-i
den Deſterreichern alſo greiſt eine revolutionäre Stimmung um ſich. Sie füy"len ſich voi
den Holländern als minderwertig behandelt. „Sind wir denn der Abfall der Niederlande?“
ſchreit einer. „Wir machen halt einen Einfall in die Niederlande!“ klingt!'s aus den Reihen
der Jungordner. Aber die holländiſchen Grenzer verſtehen keinen Spaß. Mit keinem Schritte
dürjen wir armen Deſterreicher ins gelobte Land. Inzwiſchen verhandeln die Reiſeleiter
und die Abgeſandten unſerer holländiſchen Jugendzentrale mit den Grenzorganen. Telepho-
niſche Geſpräche mit Amſterdam und dem Haag. Nüßt alles nichts. „Gehn m'r ham und
ſag'n mr, 's war nix,“ ſagt ſchließlich eine reſignierte Wienerin. Nun wird's aber kritiſch.
Die Deſterreicher müſſen in die letzten Wagen des Zuges einſteigen und dieſe werden abge-
koppelt. Das Abſahrtszeichen ertönt --- und noch immer kein Beſcheid aus dem Haag! - Da ---
es gibt ſcheinbar doch noch Wunder -- ſogar zugunſten der jungen öſterreichiſchen Sozialiſten
-- jtürzt ein Poſtbeamter aus dem Bureau: „Deſterreicher ſahren mit!“ Hurra! Hurra!
Hurra! Die Wagen werden angekoppelt, und eine Minute ſpäter rollen wir Amſterdam ent-
gegen. DEFRK..
Der Treuſ<hwur im Zell. . .
Wir waren im großen Zelt verſammelt, Deutſche, Deſterreicher und Belgier. Jede Nation
zeigte einige Darbietungen. Deutſchland kam als erſte Truppe an die Reihe. Der Dortmunder
Jugendc<hor trug Deutſchlands ſchwermütige Weiſen vor. Die Deſterreicher waren nicht -in
der Lage geweſen, ſich geſchloſſen an dieſem Beiſammenſein zu beteiligen. Deshalb nahm cs
der Genoſſe Kanitz in die Hand, für Deſterreich darſtellend zu ſein. Friſche, lebendige Geſchichten
aus der Steiermark erzählte er. Man zollte ihm reichen Beifall. Er hatte es fertig gebracht,
ODeſterreic) recht zu vertreten als einzelner. Nun war die Reihe an die belgiſchen G»19jſea.
Volkstänze, in denen ganz und gar der Rhythmus Belgiens verborgen war, führten ſie uns
vor. Dann ſangen ſie ihre Lieder. Und dann kam der Sprechchor. Ein Sprechchor war es,
an dem ſie alle mit Leib und Seele beteiligt waren. Eine ſlammende Jugend ſtand da vor
uns, die Zeugnis ablegte, daß ſie wahrhaſt an unſerer Anſchauung beteiligt iit. In ihrem
Chor ſchwuren ſie, daß ihre Fahne nur die rote Fahne ſei! „Nie wieder Krieg!“ kam es
von den Lippen dieſer jungen Menſchen. Mädels wie Burſchen waren, man ſah es ihrem
Vieußern an, mit ganzem Herzen bei ihrer Sache. Wie trotzig und kühn ſprachen ihre Augen.
Und wir konnten ihnen am Schluſſe ihrer Auſſührung nur das eine zuruſen: Wir haben euch)
verſtanden, troßdem ihr eine andere Sprache ſprecht. Nun wollte Piet Voogd reden. Aber
ein Beiſall wurde ihm im voraus gezollt, der kein Ende nehmen wollte. Dann ſprach er.
Cr ſprac) von der großen Idee der Völkerverſöhmug, der Verbrüderung aller Völker, von dem
hehren Ziel, das wir uns geſte>t haben. Und dann kam das, was ic) nie vergeſſen werde.
Cin erſchütternder Augenblick ſür jeden, der im Zelt anweſend war: