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„großen“ Mannes und zweitens beſtimmte Charaktereigenſchaften urkundlich nache
gewieſen ſind. " |
1. un
Jahrhunderte lang galt das Dokument -- und mit ihm der Nachweis von Karls
ganz einzigartiger Größe und Bedeutung =- als unangefochten und unanfechtbar.
Da erſhien im Jahr 1912 ein Buch des Wiener Profeſſors A. Dopſdc< über „Die
Wirtſchaftsentwilung der Karolingerzeit“, Dem vie nachſolgenden Gedankengänge
entnommen ſind.
Im erſten Saß der „Verordnung“ heißt es;
„Wir wollen, daß von unſeren Gutern die, welche wir zum Lieſerungsdienſt für uns
eigens beſtimmt haben, ganz und gar uns leiſten ſollen und nicht anderen Menſchen.“
Die Verordnung gilt demnach, wie auch der Inhalt anderer Paragraphen zeigt,
gar nicht für ſämtliche Güter des Königs, ſondern nur für einen Teil von ihnen,
Joweit ſie die Verpflegung des Königs un5 ſeiner Hofhaltung beſorgen jollten.
Das paßt nun ſchon nicht recht zu der Dee, die Verordnung habe eine „Muſter-
wirtſchaft“ ſchaffen wollen. Weshalb führte man ſie dann nicht auf allen könig-
lichen Gütern ein?
Weiter jedoch zeigt Dopſch, daß in der Verordnung von irgend etwas Neuem
überhaupt nicht diz Rede iſt, ſondern nur von der Bekämpfung von Mißjtänden,
die offenbar bei der Verwaltung dieſer Güter eingeriſſen waren. Nirgends
wird etwas Neues vorgeſchrieben, ſondern es wird den Amtsleuten eingeſchärft,
die Güter wieder in den Zuſtand zu verſeßzen, den ſie früher hatten. Das gilt auch
gerade für die vielen Einzelvorſchriſten, aus denen man hat herauslejea wollen,
wie ſchöpferiſch der Geiſt Karls des Großen den landwirtſchaftlichen Betrieb bis
in die kleinſten Einzelheiten umgemodelt habe. Der Wortlaut beweiſt =- nach
Dopſch --, daß das alles Vorſchriſten waren, die ſchon längſt beſtanden und nur
von den Amtleuten vernachläſſigt wurden. Endlich aber: dieſe Landgüterverord-
nung, die angeblich durch das Genie ihres Verfaſſers eine ganz neue Wirtſchafts-
weiſe für die Landbevöl?erung geſchaffen haben ſoll, en“hält über ven Betrieb
der Landwirtſchaft überhaupt keine Vorſchrift. Nichts über Brache und Frucht=-
wechſel, nichts über Düngung und Getreidearten, nichts über Gommer- und Winter-
ſaal, nichts über A>kergeräte, nichts über Be- und Entwäſſerung vſw.
Hat ſomit die Verordnung in Wahrheit keine „Muſterwirtſchaft“ ſchaffen ſollen,
welchem Zwe hat ſie ſonſt gedient? Um das zu erforſchen, hat Dopſch zunächſt zu
ergründen geſucht, für welche Teile des Reiches ſie gegolten habe. Natürlich nicht
für ſämtliche Länder vom Ebro bis zur Elbe mit ihren höchſt verſchiedenen agrariſchen
Verhältniſſen, Klima, Bodenbeſchaffenheit uſw. Uoeberdies iſt beſtändig die Rede
von unmittelbarer Mitwirkung des Königs. An ihn ſind die Abrechnungen einzu-
ſenden, er beſtimmt über die Verwendung der Reinerträge, er empfängt Die ge-
mäſteten Schweine, Schofe, Enten, Hühner, ja, die Eier -- ſoweit hat Freytag
ganz recht. Aber kann man ſich vorſtellen, daß all dieſe Dinge ſortgeſezt von den
Pyrenäen, aus IJtalien, aus Bazzern, von der Elbe nach Aachen geſchikt werden
ſollten, wo Karl ums Jahr 812 ſtändig wohnte? Nur ſür einen Teil des Reiches
kann die Verorvnung gegolten haben. Aus einer Reihe von Anzeichen =- 3. B.
daß viele Pflanzen vorgeſchrieben werden, die nur in einem ſüdlichen Klima ge-
deihen -- ſchließt Dopſch, daß das Jüdliche Frankreic, damals Aquitanien
genannt, der Geltungsbereich geweſen jci. Deutſchland kommt gar nicht in Frage.
Wiederum ein Todesſtoß für die Idee, Karl habe die deutſche Landwirtſchaft ge-
Ichafſen.
Für Aquitanien ſpricht auc) die Lage der dortigen Verhältniſſe am Ende des