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die von den gleichen Voreltern abſtammten -- für .die praktiſche Forſchung war das
ein wertloſer Anhaltspunkt, denn wer konnte jedesmal feſtſtellen, wer die Eltern
waren? -- half ſich Linn& durch einen kühnen Löſungsverſuch: er erklärte in An-
lehnung an ven moſaiſchen Schöpfungsbericht, „es gübe ſopiel Arten, wie das
unendliche Weſen von Anfang an erſchaffen hä5e“. Dieſe Behauptung war natürlich
feinen Augenblick ernſtlich haltbar; man kannte bereits ſeit langem Verſteinerungen,
aus denen deutlich hervorging, daß ſchon vor der Jetztzeit der Erde Lebeweſen auf
unſeren Planeten exiſtiert hatten, die es heute in lebendigem Zuſtand nicht mehr
givt. Eine Zeitlang verſuchten geſinnungstüchtige Kirchengläubige dieſe Ver-
ſteinerungen als „Spiele der Natur“ zu bezeichnen, oder als Ueberreſte der Sintflut,
oder als Einjlüſſe der Sterne auf die Erde oder gar als Produkte einer „beſruchtenden
Luſt“, die, wenn ſie auf organiſche Körper falle, zur Bildung von Tieren und
Pſlanzen führe, jedoch Verſteinerungen erzeuge, wenn ſie ſich nur auf unorganiſches
Material verirre. Indeſſen ſchon der große Künſtler und Gelehrte Lionardo da
Vinci*) (geb. 1452) haite bas Weſen dieſer Erſcheinungen richtig gedeutet, wenn
es auch erſt der franzöſiſche Forſcher Cuvier**) (geb. 1769) war, der die
Paläontologie, die Lehre von den verſteinerten Veberreſten der Vorwelt, in ein
Syſtem brachte und zum Rang einer Wiſſenſchaft erhob.
Borher hatte ſich da in der deutſchen Univerſität Würzburg eine ergößliche
Geſchichte abgeſpielt. Im Anfang des 18. Jahrhunderts fand man dort verſteinerte
Mammutknochen. Die GStaatsbehörde forderte ein Profeſſorenkollegium auf, ein
Gutachten abzugeben, und ein Profeſſor Beringer erklärte ſchlicht und beſcheiden, es
Handle ſich nur um „Naturſpiele“. Seine Studenten, die vielleicht mehr wußten als
ihr Lehrer, machten ſich nun einen Spaß und verſte>ten in der Nähe der Stadt
überall derartige „Figurenſteine“, die nicht nur Tier- und Pflanzenkörper wieder-
gaben, jondern auch Sonne, Mond, Sterne und Kometen. Dieſe Steine wurden
Beringer geſchi>t in die Hände geſpielt, und er machte ſich nun daran, ein gelehrtes
Buch über ſeine Funde zu verfaſſen. Als er eines Tages einen Stein mit dem
Namenszug Jehovas fand, ließ er ſich vom den Würzburger Rabbinern bezeugen,
daß die Unterſchrift des lieben Gottes echt ſei. Das Buch war ſchon gedruckt und ein
Teil der Auflage verkauft, da kam der Schwindel heraus. Der blamierte Profeſſor
faufie natürlich ſofort für ſchweres Geld die abgeſetzten Exemplare, ſoweit das ging,
wieder zurück, aber ber Hineinfall ging nicht mehr zu vertuſchen; Beringer ſtarb
bald vor Kummer.
Harmloſer war der Irrtum, dem der berühmte Schweizer Arzt und Naturforſcher
Scheuchzer unterlag; er veröffentlichte die Abbildung eines foſſilen (verſteinerten)
Skelettes als das des vorſintflutlichen Menſchen mit dem ſchönen Vers:
„Betrübtes Beingerüſt von einem alten Sünder,
Erweiche Sinn und Herz der neuen Bosheitskinder!“
Leider ſtellie ſich ſchnell heraus, daß es ſich nicht um ein menſchliches Knochengerüſt,
ſondern um Das eines ſoſſilen Rieſenſalamanders handelte.
Wie ſchon erwähnt, gelang es dem franzöſiſchen Forſcher Cuvier , zu zeigen,
daß die Erde verſchiedene Entwicklungsperioden durchgemacht habe, deren jede durch
beſtimmte Geſteinsſchichien und beſtimmte Tier- und Pflanzenarten gekennzeichnet
jei. Die verſchiedenen Entwilungsſtufen des Erdballs waren nach Cuvier, der nicht
ganz mit der Bibel zu brechen wagte, durch gewaltige Kataſtrophen voneinander
getrennt, Erdrevolutionen, die die ganze Lebewelt vernichteten, worauf ſtets wieder
eine Neuſchöpfung =- mit neuen Formen -- ſtatifand. Die Frommen mußten ſich
*) ſprich windſchi; **) ſprich küvi-eh.