Full text: Arbeiter-Jugend - 18.1926 (18)

Arbeiter-Jugend - 279 
- Projletarierkinder in Portugal. 
.o Von Hans Weſemann, Liſſabon. - 
PP ir waren in Porto, dem großen Hafen Portugals, gelandet. Man Hatte 
9 H Kuns die bunten Kirchen gezeigt, vor deren Türen die Bettler hoden und 
Arztes? deren Altäre Gold- und Gilberſtatuen im Werte von Hunderttauſenden 
Ccudos*) tragen. Wir hatten auf der Dourobrücke geſtanden und weit ins Land 
hineingeſehen. 50 Meter unter uns der langſam fließende Fluß mit unzähligen 
Barken, Booten und Dampfern. Die hohen Ufer aber bede>t mit Paläſten, Terraſſen 
und Gärten, ein phantaſtiſches Bild von Schönheit und Reichtum, das uns im 
Erinnern an unſer fernes graues Deutſchland faſt unwirklich vorkam. Aber wir 
jahen 'auch den Verfall hinter den glänzenden Taſſaden. Von den Wänden der 
Schlöſſer fäilt der Verpuß, die Höfe waren mit Gras überwachſen und die bunten 
Kirchenfenſter mit Spinnweben überzogen. Schlimmer aber war das unverhüllte 
Elend der Menſchen. Auf iden Kirchentreppen lagen alte Frauen, an den Läden 
bettelten alte Männer. Blinde verkauften Lotterieloſe, und überall ſaßen Krüppel, 
die ihre entſeßlich verſtümmelten Körper für ein Almoſen zur Schau ſtellten. 
Unten am Douro aber, wo die Schiffe ihre Ladung löſchen, arbeiteten die 
Frauen und Kinder. Aus einer Barke wurden ECiſenplatten ausgeladen. Immer 
zu zweien trugen die Frauen ſie auf den Köpfen über den ſchmalen, ſchwankenden 
Steg hinüber zum Ufer. Viele hatten ihren Säugling bei ſich, den ſie auf dem 
Rücken feſtgebunden hatten. Eine trug ihr Kleines im linken Arm, während der 
rechte die Laſt ſtüßte. Und das ging ſtundenlag, bei einer bleiernen Hißze, die uns 
das Blut ſieden machte, obwohl wir im Schatten ſtanden und uns Kühlung zus- 
fächeln konnten. 
Am Kai ſtanden Kohlenwagen, und Kinder jchleppten die ſchweren Kohlen- 
ſjäde. Kinder in jedem Alter, von 6 bis 17 Jahren, aber die ganz kleinen waren 
in der Mehrzahl. Sie trugen die Säcke, ſchwarz verſ<wißzt und erſti>end von 
Rauch und Schmuß, und faſt alle huſteten. „Sie haben die Schwindſucht, wie 
alle Proletarierkinder hier,“ erklärte uns ein ortsfundiger Freund. Unter einem 
Eiſenbahnwaggon aber lag auf einem alten Sa> ein kleines Kind und ſchlief. Die 
Fliegen ſaßen dicht in ſeinen Augen und Ohren und der Kopf war mit Schorf 
und Ausſjatz bede>t. „Da ſieht man wieder mal, was für ein faules, nachläſſiges 
Volk hier lebt; das Kind müßte doch ſofort ins Hoſpital,“ entrüſtete ſich ein wohl- 
beleibter Herr unſerer Geſellſchaft. Er mußte ſich darüber belehren laſſen, daß es 
in Porto keine Hoſpitäler gibt, am allerwenigſten aber für die Armen und 
deren Kinder. | 
Nachher auf dem Schiff ſpendierte der Kapitän echten alten Portwein, den 
man als Andenken an Porto mitgebracht hatte. Ich konnte nicht trinken, ich mußte 
en vie Kinder denken. „Wir ſollten lieber eine Sammlung für die tuberkulöſen 
tleinen Arbeiter veranſtalten,“ ſchlug. ich vor. 
„Seien Gie nicht ſentimental," war die Antwort. 
Später in Liſſabon wurde ich gleichgültiger gegen den Anbli> der Bettler. Ich 
lernte wie alle Fremden mit einem „tenja pacienca“ („habe Geduld“) die Armut 
ſörtzuweiſen. Aber ich habe es nie gelernt, auch die Kinder zu verſcheuchen. Ueberail 
waren dieſe kleinen verkrüppelten Weſen mit den rachitiſchen Geſichtern, und ihren 
löglich dünnen Stimmen konnte niemand entgehen. Dft des Nachts, wenn ich durch 
Bemelnitnndnien | 
 
 
*) portugieſiſche Währung.
	        
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