Arbeiter-Jugend - 279
- Projletarierkinder in Portugal.
.o Von Hans Weſemann, Liſſabon. -
PP ir waren in Porto, dem großen Hafen Portugals, gelandet. Man Hatte
9 H Kuns die bunten Kirchen gezeigt, vor deren Türen die Bettler hoden und
Arztes? deren Altäre Gold- und Gilberſtatuen im Werte von Hunderttauſenden
Ccudos*) tragen. Wir hatten auf der Dourobrücke geſtanden und weit ins Land
hineingeſehen. 50 Meter unter uns der langſam fließende Fluß mit unzähligen
Barken, Booten und Dampfern. Die hohen Ufer aber bede>t mit Paläſten, Terraſſen
und Gärten, ein phantaſtiſches Bild von Schönheit und Reichtum, das uns im
Erinnern an unſer fernes graues Deutſchland faſt unwirklich vorkam. Aber wir
jahen 'auch den Verfall hinter den glänzenden Taſſaden. Von den Wänden der
Schlöſſer fäilt der Verpuß, die Höfe waren mit Gras überwachſen und die bunten
Kirchenfenſter mit Spinnweben überzogen. Schlimmer aber war das unverhüllte
Elend der Menſchen. Auf iden Kirchentreppen lagen alte Frauen, an den Läden
bettelten alte Männer. Blinde verkauften Lotterieloſe, und überall ſaßen Krüppel,
die ihre entſeßlich verſtümmelten Körper für ein Almoſen zur Schau ſtellten.
Unten am Douro aber, wo die Schiffe ihre Ladung löſchen, arbeiteten die
Frauen und Kinder. Aus einer Barke wurden ECiſenplatten ausgeladen. Immer
zu zweien trugen die Frauen ſie auf den Köpfen über den ſchmalen, ſchwankenden
Steg hinüber zum Ufer. Viele hatten ihren Säugling bei ſich, den ſie auf dem
Rücken feſtgebunden hatten. Eine trug ihr Kleines im linken Arm, während der
rechte die Laſt ſtüßte. Und das ging ſtundenlag, bei einer bleiernen Hißze, die uns
das Blut ſieden machte, obwohl wir im Schatten ſtanden und uns Kühlung zus-
fächeln konnten.
Am Kai ſtanden Kohlenwagen, und Kinder jchleppten die ſchweren Kohlen-
ſjäde. Kinder in jedem Alter, von 6 bis 17 Jahren, aber die ganz kleinen waren
in der Mehrzahl. Sie trugen die Säcke, ſchwarz verſ<wißzt und erſti>end von
Rauch und Schmuß, und faſt alle huſteten. „Sie haben die Schwindſucht, wie
alle Proletarierkinder hier,“ erklärte uns ein ortsfundiger Freund. Unter einem
Eiſenbahnwaggon aber lag auf einem alten Sa> ein kleines Kind und ſchlief. Die
Fliegen ſaßen dicht in ſeinen Augen und Ohren und der Kopf war mit Schorf
und Ausſjatz bede>t. „Da ſieht man wieder mal, was für ein faules, nachläſſiges
Volk hier lebt; das Kind müßte doch ſofort ins Hoſpital,“ entrüſtete ſich ein wohl-
beleibter Herr unſerer Geſellſchaft. Er mußte ſich darüber belehren laſſen, daß es
in Porto keine Hoſpitäler gibt, am allerwenigſten aber für die Armen und
deren Kinder. |
Nachher auf dem Schiff ſpendierte der Kapitän echten alten Portwein, den
man als Andenken an Porto mitgebracht hatte. Ich konnte nicht trinken, ich mußte
en vie Kinder denken. „Wir ſollten lieber eine Sammlung für die tuberkulöſen
tleinen Arbeiter veranſtalten,“ ſchlug. ich vor.
„Seien Gie nicht ſentimental," war die Antwort.
Später in Liſſabon wurde ich gleichgültiger gegen den Anbli> der Bettler. Ich
lernte wie alle Fremden mit einem „tenja pacienca“ („habe Geduld“) die Armut
ſörtzuweiſen. Aber ich habe es nie gelernt, auch die Kinder zu verſcheuchen. Ueberail
waren dieſe kleinen verkrüppelten Weſen mit den rachitiſchen Geſichtern, und ihren
löglich dünnen Stimmen konnte niemand entgehen. Dft des Nachts, wenn ich durch
Bemelnitnndnien |
*) portugieſiſche Währung.