280 Arbeiter- Jugend
das Hafenviertel ging, , ſah ich fie in Torbögen zuſammengekauert liegen. Manchmal
auch direkt auf der Straße, Dden- Kopf auf einen Schutthaufen gebettet. (Glücklich
noch Die, Denen ein Hund als Schlaſgejährte ſein Fell zur Lagerſtätte bot.
An den Markthallen hinter dem vYocio, oben :an der run Gasset und unten
am Hafen traf ich ſie dann am Tage. Sie lauerten an den Ständen auf ein weg-
geworfenes Stüc> Kohl oder Salat, ſie balgten ſich um eine verfaulte Banane und
immer durchwühlten ſie alle den Kehricht nach etwas Eßbarem. :
„In den Caſts kriechen ſie auf den Fußböden rum, um-Brotſtücke und Zigaretten-
reſte zu ſuchen. Und nur in ho>ender Stellung wagen ſie, einen der Gäſte um
etwas zu bitten. Sie wollen auf dieſe Weiſe den Kellnern entgehen, die ſie fortjagen.
Die Ariſtokratie unter dieſen Kindern der namenloſen Armut ſind noch die
fleinen Stiefelpußer und die Zeitungsverkäufer. An allen Straßene>en und Plätzen
hoden die Stieſelwichſer am Bordſtein und warten auf die Kunden. In den Barbier-
ſalons iſt auch immer ein Schuhpußer zu finden, und überall ſonſt noch in der
Stadt ſieht man die kleinen zerlumpten Bengels mit ihrem Kaſten, wie ſie jedem
Beſſergekleideten nachſpringen, um ihm die blanken Stiefel noch blanker zu wichſen.
Die Zeitungsverkäufer erkennt man gleich an ihren heiſeren, überſchrienen
Stimmen. Sie bevölkern die Plätze der Stadt, ſie ſpringen auf die Elektriſche,
gehorſam jedem Winke, ſie übertäuben jeden Lärm mit ihrem anpreiſenden Gebrüll
-=“ und feiner von ihnen wird älter als 20, da ſie alle vorher an der Schwindſucht
ſlerben. Uebrigens kann Heiner von ihnen die Zeitungen leſen, die er verkauft;
denn Schulbeſuch exiſtiert in Portugal nur für die Kinder der reichen Leute. Die
agrmen haben keine Zeit ſür (dieſe brotloſen Künſte. Sie müſſen arbeiten. Außer-
dem ſieht es die Regierung nicht gern, wenn das niedere Volk nach zuviel Bildung
jtrebt. Es könnte eines Tages anfangen zu denken, und das iſt immer gefährlich.
An der Treppe .des Hauptbahnhofes in Liſſabon ſitzt eine blinde Bettlerin.
Sie hält zwei Säuglinge an der Bruſt, beide ſind von Fliegen und Schmuß bede>t,
vnd ein unaufhörlicher feiner Staub fällt auf ſie nieder. Die Paſſanten gehen
gleichgültig vorüber. Nur ein Hund bleibt einen Augenblick ſtehen, beſchnuppert
die armſelige Gruppe und läuft weiter. Eine elegante Dame aber knipſt- die
„Maleriſche“ Szene für ihr Reijealbum und vergißt dabei ganz ein kleines Almoſen
zu geben.
Ein Landsmann zeigte mir ſeine Korkfabrik. Sie iſt eine der größten des
Landes. Alle Maſchinen und Gebäude waren tadellos neu eingerichtet und ſtammten
ous Deutſchland. Man zeigte uns die Fabrifation. Hunderte von Kindern ſtanden
und knieten vor den Korkhaufen und ſchnitten die einzelnen Stücke zurecht. Sie
arbeiteten in einer Staubwolke und i9r Irodenes Huſten klang unaufhörlich. Der
Beſitzer aber erklärte ſtolz:
„Wir haben einen Jahresexport von 1 500 000 Zentnern, aber ich hoſfe ihn
auſ das Doppelte zu ſteigern.“
„Wie lange arbeiten eigentlich die Kinder in Ihrer Fabrik?“ fragte ich dagegen.
„Bon 8 Uhr morgens bis 7 Uhr abends; aber wenn große Aufträge vorliegen,
natürlich länger. Das können wir uns ganz nach Belieben einrichten. Und im
Bertrauen geſagi, es ſind billige Arbeitskräſte =- ſehr billige ſogar, ſonſt könnten
wir das Geſchäft nicht machen.“ :
Und er lachte behaglich und ſelbſtbewußt, ſeiner doppelten Ueberlegenheit als
kultivierter Ausländer und Unternehmer wohl bewußt. Was ſollte er ſich auch hier
um die portugieſiſchen Prolekarierkinder kümmern, wenn er es nicht mal in Deutſch-
land getan hatte!