Full text: Arbeiter-Jugend - 18.1926 (18)

Arbeiter-Jugend 285 
„Man ſteht und ſchaut, und langſam löſt ein Bild ſich vom anderen. „Dort unten raſtet 
ein Schäfer inmitten einer weißflo>kigen Herde," ruft eine Genoſſin, jubelnd ob des fried- 
lichen Anbli>ks. „Siehſt du die weißen Tauben nach dem Bauernhofe fliegen?“ unterbricht 
ſie ein anderer. „Sie merken, daß dort jezt das Hühnervolk gefüttert wird. I< kann die 
Bäuerin ſehen, wie. ſie aus dem Napfe ſchöpft!" Und abſeits von .uns- allen ſien vier 
Wanderbrüder und ſchmettern mit hellen Stimmen ein Lied hinab --- der - Anbli> dart 
unten erregt ihren Schönheitsdrang, der irgendwie nach Betätigung ringt. x» 
Aus nahen Pfaden klettert es empor, kommt ſchnaufend und fauchend herauf, ſteht 
gut genährt, überſättigt und kritiſierend neben uns, holt umſtändlich Fernſteher und 
HDrientierungskarte hervor und dreht ſich dann nach allen Seiten, uns einfache Wander- 
brüder mit mißtrauiſchen Seitenbliken betrachtend: zwei „ſtilvolle“ Reiſende in neueſten 
Tourenausſtattungen; ihr Auto wartet irgendwo da unten, ungeduldig mit den Maſchinen 
ratternd. Einen Augenbli> ſind wir ſtill geworden. Der „Ausbli&“ iſt uns wie 
durd) :eiwas Gtörendes getrübt! So etwa, wie wern ſich eine kalte Hand auf unſer freudig 
pochendes Herz legen wollte. | 
Dann aber löſt ſich der Bann und kameradſchaftlich lachend und plaudernd wenden wir 
uns ab. Was gehen uns die Fremden an! „Alles zum Lagern bereit machen!“ ſchallt das 
Kommando der Führer. „Wir kochen ab!“ Im Nu fliegen die Ranzen ſamt De>en und 
Mänteln auf den Raſen, ſtehen Töpfe auf dürren Reiſern, werden die Rucſä>e ihres 
Inhaits an Eßwaren entleert --- die ſcheelen Blike der vornehmen Ausluger kümmern uns 
nicht. 
Bald ſteigt der feine Rauch unſeres Lagerfeuers in die Höhe -- gleich einem Wahr- 
zeichen der Freiheit unſerer Jugend, die ſich die Welt erobert! Fort mit kleinlichen Rück- 
ſichten, mit läſtigen Gedanken an Unterſchiede, die von Menſchen geſchaffen ſind! Hier 
waltet nicht ein einzelner, hier lebt die Gemeinſamkeit, und was uns zuteil wird, iſt 
Gemeingut! I. Manz. 
 
 
Der Held einer Stunde. 
Von Karl Ullric. 
Ps Tyur wenige Wochen ſtand Werner im Betrieb, als ihm der Meiſter, ohne daß ihn 
E 2: Werner darum angegangen hätte, zwei Pfennig Stundenzulage gab. Werner war 
& Wüberraſcht. Seine Verwunderung wuchs, als ihm nach vierzehn Tagen die Zulage 
noc< einmal zuteil wuvde und nach acht Tagen abermals. Gewiß, er tat ſeine Arbeit. 
Fünf Burſchen hatten vor ihm an ſeiner Stelle in der Tiſchlerausgabe geſtanden. Sie waren 
mit der Aufgabe nicht fertig geworden, die Werner ohne Mühe erledigte. 
Bevorzugte man Werner deswegen in der Bezahlung? Es ſchien ihm ſo. 
Mit Eifer verrichtete Werner auch immer von neuem, was der Tag von ihm forderte. 
Umſichtig verwaltete er die Materialien, deren die Tiſchlerei bedurfte, und je mehr die Zeit 
hinging, um ſo mehr wurde ihm das Glashäuschen zu ſeinem Bereich, das er am Tagende 
oft nur ungern verließ. Der Meiſter war freundlich zu Werner und übertrug ihm Arbeiten, 
die ſein jugendliches Pflichtgefühl ſtärkten, immer größeren Verantwortungswillen verlangten, 
aber auch) ſtetig wachſende Befriedigung gewährten. 
Werner war noch jung. Nur Wochen ſchoben ſic) ihm zwiſchen Fabrik und Schule 
Dieſe Wochen aber genügten, ihn zum Erwachſenen zu wandeln. 
- „I< möchte nicht, daß Sie mit den Burſchen in die Kantine gehen. Sie können Ihr 
Brot auch hier in der Ausgabe verzehren.“ . 
Der Wunſch des Meiſters war Werner recht. Er fühlte ſich doch nicht wohl unter ſeinen 
Altersgenoſſen und errötete ſtets verlegen, wenn ſie ihre Zoten riſſen. Zu den Tiſc<lern 
dagegen fühlte er ſich hingezogen. Ia, er verehrte einige von ihnen mit einer unſchulbdigen, 
knabenhaſten Ehrfurcht. Beſonders zwei, drei Tiſchler waren ſeine Freunde, alte graubärtige 
:Geſellen, die ſ<weigend ihre Arbeit taten und auch Werner ſelbſt kaum beachteten. 
„Das ſind meine tüchtigſten Arbeiter. Doch es ſind auch die ſchärfſten Sozialdemokraten!“ 
Werner horchte auf bei den Worten des Meiſters, | , 
 
 
 

	        
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