Full text: Arbeiter-Jugend - 18.1926 (18)

Arbeiter-Jugend 287 
Er hatte die „Bezeichnung ſchon öfter gehört. Wann und wo ſie aber immer aus- 
geſprochen wurde, geſchah es in Abſcheu, als ob man von etwas Ehmußigem ſprach. 
„Die Mitglieder des Unterſtüßungsvereins ſind Gelbe?" | . 
„Ja freilich, und die ganze Bude ſte>t voll von ihnen. Das Heißt mit Ausnahme des 
Tiſchlerſaales.“ - 
Grimmig fielen die Worte. | - 
„Sie werden einen ſchweren Stand bekommen, wenn Sie ſich weigern.“ 
Mehr ſagte Retri nicht. Werner ſchritt allein weiter. 
Der Abſcheu vor dem Namen, die Achtung der Tiſchler, dann wieder die Möglichkeit 
im Betrieb: Werner litt das erſtemal unter dem Widerſtreit der Gefühle und Gedanken. 
Empört über das hinterhaltige, ſchmeichleriſche Einfangen des Meiſters trat er 
am Montag in die Ausgabe. So unruhig er aber auch auf die Frage des Meiſters wartete, 
dieſer ſchwieg. Er ſchwieg auch die nächſten und kommenden Tage. 
Als er zu reden begann, ſprach er zu Werner über den Betrieb, über die Möglich- 
keiten des Auſſtiegs für einen jungen Mann. Er ſprach von Angeſtellten, die ſchon zehn, 
jünfzehn Jahre im Betriebe ſeien und in günſtigſten Verhältniſſen arbeiteten. 
Was auch der Meiſter ausſprach, Werner hörte immer nur dasſelbe aus den 
Worten heraus: „Komm du auch nur. Laß die dummen Tiſchler, die ihren Vorteil nicht 
zu nüßen wiſſen.“ 
Auch die Tatſachen ſelbſt ſprachen auf Werner ein. So ſehr er es auch vor ſich ſelbſt 
zu leugnen bemühte, die Stimmen drangen durch, iddie ihn einen Narren jhalten, gebotene 
Möglichkeiten auszuſchlagen, leichtſinnig zu verſcherzen; die ihn fragten, ob es denn ſo 
jhandbar ſei, ſich emporzuarbeiten, ob er es nicht heimlich tun könne. Es tat Werner leid, 
ſeine Arbeit aufzugeben. Das freie, ſelbſtändige Schaffen gefiel ihm. Während nun der 
Meiſter ſchwieg, wechſelten in Werner die Gefühle und Entſchlüſſe. Was anderen die 
Entſcheidung einer Stunde war, wurde ihm lange Qual. 
„Kun, wie iſt es, haben Sie ſich entſchloſſen?“ 
Treßzdem des Meiſters Frage Werner Erlöſung ſchien, konnte er nur ſtotternd antworten: 
„Mein -- mein Vater will es nicht.“ Das war eine Lüge. Aber es war eine Antwort 
und eine ablehnende. 
Der Meiſter zeigte ein unwilliges Geſicht. Dann trat er dicht an Werner heran, ſprach 
auf ihn ein, väterlich, eindringlich, malte ihm nochmals die Möglichkeit eines Auſſtiegs in 
den verlodendjten Farben. Dann wieder ſprach er gleichgültig, als liege ihm perſönlich gar 
nichts an Werners Gewinnung. 
„30Q) will nicht!" Kurz und entſchloſſen entrang ſich Werner noch einmal die Antwort. 
Der Meiſter ließ ihn und ging hinaus. Als er nach Minuten wieder hereintrat, waren 
jeine Mienen kalt und höhniſd). , 
„Sie werden verſtehen, daß wir hier drinnen nicht mehr zuſammen arbeiten können. 
Ic< muß Sie hinaustun in den Saal, zu Hilfsarbeiten, vielleicht zum Frühſtückholen ver- 
wenden. Ia, ja, Sie haben ſich manches verſcherzt.“ 
. "In Werner wallte das Blut. | 
„Nein, dann gehe ich und bitte um meine Bücher.“ 
Werner verbiß ſeinen Schmerz. Seit er hier war, hatte man ihn vor und über ſeine 
Altersgenoſſen geitellt. Man war mit ſeiner Arbeit zufrieden geweſen. Warum ſtieß man 
ihn jeßt hinaus wie einen Taugenichts? 
Sein Rechtsgefühl bäumte ſich auf gegen die brutale Behandlung. 
Als er im Kontor ſeine Bücher empfangen hatte, zurü& mußte, durc< die langen 
Ghreibjäle ſchritt, dur< den Pa>raum, die Buchbinderei, an allen Plätzen die Arbeiter emſig 
ſ<affen ſah, fiel ihm das Weggehen ſchwer. Und noch einmal kam mit der Schwere des 
Abſchieds der Zweiſel. 
War es klug, dem Mäcdchtigeren zu troßen? Er ging, und niemand kümmerte ſich um ſein 
Gehen. Und niemand hätte ſich um ihn gekümmert, wäre er geblieben und hätte er getan, 
was ihm der Vorteil gebot. 
Unfrei und uneinig mit ſich ſelbſt ſchritt Werner aus dem Saal.
	        
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