Arbeiter-Jugend - 311
waren wir zur Unterkunft auf das Gaſthaus angewieſen. Unſere Jugend bezog jedoch nur
jehr ungern ſolche Quartiere --- war doch ihre Bewegung von vornherein entſchieden darauf
eingeſtellt, bei allen Veranſtaltungen den Alkohol- und Nikotingenuß zu meiden. Es wurde
denn auch in unſeren Reihen eine ſehr ſtarke Propaganda für die Abſtinenz von dieſen
Rauſchgiften betrieben. Jugendliche wie Führer haben deshalb immer nur mit großem
Widerſtreben in Gaſthäuſern Aufenthalt genommen. Häufig pflegten daher die Führer vor-
her an die Gewerkſchaftskartelle oder an die Sozialdemokratiſche Partei der zu durch-
wandernden Orte heranzutreten und um Quartiere zu bitten. Es wurden dann unſere
Wanderer von den Geſinnungsgenoſſen in Freiquartieren untergebracht, wodurch natürlich
auch eine Verbilligung der Fahrten eintrat. Daß ſo die Arbeiterjugend verſchiedener, oft weit
auseinander gelegener Orte untereinander in Verbindung trat, erwies ſich im Lauf der Jahre
als ein ſehr gutes Erziehungsmittel. Konnten doch auf Grund ſolcher Verbindungen. unſere
Genoſſen ihren Geſichtskreis häufig bedeutend erweitern. Auch wurde Freundſchaft auf dieſe
Weiſe von Stadt zu Stadt und von Land zu Land zwiſchen der Jugend geſchloſſen. Ein Be-
dürfnis nach Jugendherbergen war aber troßdem ſchon damals in unſerer Arbeiterjugend-
bewegung vorhanden.
Der Ausbruch des Krieges brachte dann alle dieſe verheißungsvollen Anfänge zum Still-
ſtand. Soweit das Wandern während der Kriegszeit überhaupt möglich war, wurde es
von unſerer Jugend auch weiterhin gepflegt. Von diefer Periode iſt jedoch nichts Beſonderes
zu ſagen. Erſt das Kriegsende, mit dem ein neuer Auſſtieg unſerer Bewegung ſid) an-
kündigte, brachte neue Wege.
Jugendſerien in Oeſterreich - ein Vorbild für Deutſchland.
Von Max Weſtphal.
e Der Reichszausſchuß der deutſchen Jugendverbände hat ſich ein neues Verdienſt um die
DB FSdeutſche Jugend erworben. Er hat in der Zeit vom 26. Juli bis 3. Auguſt eine
Aue Kommiſſion zum Studium der „Lehrlingsfürſorge-Aktion“ nach Oeſterreich entſandt,
geleitet von der Abſicht, für den weiteren Ausbau der deutſchen Jugendfürſorge neue An-
regungen zu gewinnen. Da ich Mitglied dieſer Kommiſſion war, kann ich auch berichten,
worum es ſich bei dieſer „Lehrlingsfürſorge-Aktion“ handelt.
Noch im Kriegsjahr 1918 kam durch das Zuſammenwirken einiger ſtaatlicher Stellen
(Miniſterien des Innern und Staatsamt für Volksgeſundheit) mit privaten Wohlfahrts»
organiſationen in Wien eine Fürſorgeaktion für die durch die ſchweren Entbehrungen der
Kriegszeit geſundheitlich außerordentlich geſchädigte arbeitende Jugend in Gang. Die Abſicht
war, wenigſtens Teile der durch Unterernährung entkräfteten, beſonders durch Tuberkuloſe
vedrohten Jugend für einige Wochen in Erholungsheimen unterzubringen, um ſie durch gute
Verpflegung und den Aufenthalt in friſcher Luft neu zu ſtärken. Es gelang mit Hilfe ſtaat-
licher und privater Gelder, bis zum Kriegsende etwa 1500 Jugendliche in zwei Heimen
unterzubringen und günſtige Erfolge zu erzielen. Die Pfleglinge kehrten aus den Heimen
an Körper und Geiſt geſtärkt und erfriſcht zurück. Der ſtaatliche Zuſammenbruch unterbrach
dieſes gute Werk, aber es hatte bereits ſo viele Freunde gefunden, daß es nicht wieder
untergehen konnte.
Auf Grund einer Eingabe, die unſer öſterreichiſcher Bruderverband Anfang 1919, nachdem
eine gewiſſe Klärung im politiſchen Leben eingetreten war, an das „Staatsamt für ſoziale
Verwaltung“ in Wien richtete, wurde in erneute Verhandlungen mit allen beteiligten amts»
lichen und privaten Stellen eingetreten, und als erſtes Ergebnis entſtand idie Vollzugs-
anweiſung des Staatsamtes für ſoziale Verwaltung vom 9, Mai 1919 über den Urlaub von
jugendlichen Lehrlingen, Arbeitern und Angeſtellten“. Dieſe geſetzliche Verordnung beſtimmt,
daß dem jugendlichen Erwerbstätigen ein ununterbrochener Urlaub von vier Wochen gewährt
werden muß, wenn a) der Jugendliche auf Grund eines ärztlichen Zeugniſſes der Kranken-
kaſſen oder des Schularztes aus Geſundheitsrüdſichten dringend einer Erholung bedarf,
b) ihm die Aufnahme in einem Erholungsheim geſichert iſt oder er den Urlaub nachweislich
auf dem Lande verbringen kann und c) das Arbeitsverhältnis wenigſtens ſechs Monate
dauert. Der Lohn, reſpektive das Gehalt iſt während der Urlaubszeit weiterzuzahlen.