Full text: Arbeiter-Jugend - 18.1926 (18)

Arbeiter-Jugend . 357 
Lebenskunft. 
Von Karl A. Meyer, 
D/Btb- ancherlei Jugend kommt zu uns: ſtille, verträumte Menſchenkinder, die 
 
) 8 & beſcheiden für ſich gehen, und laute Lärmmacher, die in den Zuſammen- 
3 ij Sy lüniten bald das Unterſte zu oberſt kehren. Die Aufgabe des Jugend- 
leiters, die verſchiedenen Temperamente auf einander abzuſtimmen, iſt oft ſchwer. 
Wären alle nur ſtille und ſäßen ſie da wie im Theater, wartend, was die anderen 
ihnen bieten würden, ſo käme kein Gemeinſchaftsleben zuſtande. -- Ueberböten ſich 
alle mit ihrem Mundwerk und in übler Radauluſt, wäre es gewiß ein Theater, 
aber ein Schauſpiel, das am Ende keinem Freude machte. 
Jungvolf iſt wie unfertiges Material in einer Werkſtatt: daraus ſoll etwas 
werden. Was daraus werden wird --: auf uns kommt es an, auf jeden einzelnen 
von uns und auf die Geſamtheit. 
 
* 
Alles will gelernt ſein; auch zu leben will gelernt ſein. - 
Gewiß: wir ſind lebendig. Wir können es ſein, wie die Pflanze, wie das 
Tier, oder wie ein Menſch in der Tretmühle lebendig iſt. Aber ein Menſch, der 
morgens erwacht, im Trott zur Arbeit geht, ſich abſchindet und am Abend matt 
auf jein Lager fällt, um den anderen Tag ebenſo troſtlos zu beginnen: der lebt nicht, 
der wird gelebt, der erleidet ſein Leben; der iſt wie ein Nuttier für andere. 
Viele leben ſo dahin. Es iſt ein Jammer um ſolche Menſchen. 
Wir ſind jung, uns ſteht das Leben offen. Aber das Leben in ſeiner Fülle 
fliegt uns nicht wie im Schlaraffenland entgegen. Wer tatlos wartend abſeits 
Jeht, fann lange warten. Dem Mutigen gehört die Welt, dem, der ſie packt, der das 
Leben meiſtert, der Herr iſt über ſeine Kraft, der wie ein Schmied am Amboß ſteht. 
Du mußt dir dein Leben ſchmieden. Dir iſt Kraft gegeben, Kraft des 
Körpers und des Geiſtes =- was du damit anfängſt: darauf kommt es an. Der 
eine vertrödelt ſeine Kraft in nichtigem Zeitvertreib, er vertreibt die Zeit, ſtatt 
ſie zu nüßen =- dem andern iſt die Zeit der Raum, in dem er wirkt. 
Beobachten wir ein kleines Kind, das geſund iſt: wie ſpringt es umher und 
jubiliert in ſeiner Luſt! Nach allem will es greifen, alles will es tun. Wie ſauſt 
ein Hund, losgelaſſen von der Leine, ſeiner Freude nach! Jauchzendes Kräfteſpiel. 
Das Leben iſt ſo ſc<ön. Um wieviel lebendiger müßte das Daſein des Menſchen ſein, 
der wiſſend ſeine Kraft nach einem ſchönen und hohen Ziel hin ſpielen läßt, der, 
ſeiner großen Fähigkeiten bewußt, tätig iſt! Herrlich zu wiſſen: alles, was 
wir auf Erden ringsum ſehen, iſt aus Menſchenwille und Tat geboren: jedes Haus 
iſt nach einem Plan erbaut, das Wunderwerk einer Strombrüce, die Dampf- 
turbine, die unſere Maſchinen treibt, die vieltauſendfältigen Arbeitsapparate, die 
kunſtvollen Webſtoffe, Telephon, Radio, Schiffe, Flugmaſchinen =- wohin wir blicken: 
Menſchenarbeit in vielerlei Wundergeſtalt und Form; der Menſch hat die Natur 
gezwungen, ſo zu ſein, daß ſie ihm dienſtbar iſt. Und alle 'Menſchen, die das erſonnen 
und ins Werk umgeſetzt haben, ſind einmal ſo jung geweſen, wie der jüngſte unter 
uns. Aber keiner von ihnen, die dem Leben ihren Stempel aufgedrückt haben, hat 
das tun fönnen, ohne ſtreng an ſich zu arbeiten. Er hat ſich gebildet zu dem, was 
er geworden iſt: erhatſich gemacht zudem, was eriſt 
* 
Das iſt das große Wunder: aus uns heraus wächſt die Zukunft. Wenn in 
fünfzig Jahren die Menſchheit in ihrer Ziviliſation und Kultur ein Stü> weiter 
gefommen jein wird: wer kann Heute auf die Einzelmenſchen deuten, die ihre För-
	        
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