Arbeiter-Jugend 41
Mann hatte als einer der wenigen vom recht vielen klar erkannt, daß das Gebotene
heillv/er Kitſch war. Mit ſeiner Bemierkung traf. er den Nagel auf den Kopf; denn
in der Tat: Man wird für dumm verkauft. Es gehört geradezu zum Weſen . des
Kitſches, daß er ſelbſt dumm und unwahr iſt und daß er die Menſchen in Dummheit
und Unwahrheit erhält und beſtärkt. Das kann-bewußt ſein, d. h. der Kitſchſabrikant
„beabſichtigt das. Es kann unbewußt ſein, d. 9. der „Dichter“ iſt ein unfähiger Macher.
- Jeßt wird mancher fragen: Ja; kommt denn ſo eiwas wie in dem Stü> mit
Jadie Coogan nicht im Leben vor? - Wieſo ſoll -das unwahr ſein?
Ganz richtig, ſo etwas k ann vorkommen; das Leben iſt jo vielgeſtaltig, daß
noch viel ſeltſamere Zufälle ſich ereignen. Aber dies iſt nichtsdeſtoweniger unwahr,
nämlich „künſtleriſch“ unwahr. In dieſem Fall wird nämlich. ein ſeltener Zufall nicht
jo geſtaltet, daß gerade dieſes ihn c<aratteriſierende Merkmal deutlich „wahr“
heraustommt, jondern ſo, als ob dieſe Geſchichte die ſelbſtverſtändlichſte auf der Welt
wäre. Dem Zuſchauer wird ein völlig verlogenes Bild der Wirklichkeit ein-
geflüſtert, „ſuggeriert“ wie man ſagt. Unwahr, verlogen iſt auch alles andere an
dieſem Kinodrama, Ueberall fehlt der wahre Untergrund, auf dem ſich die Ereigniſſe
abſpielen. Das Armenhaus wirkt geradezu gemütlich; die beiden Pflegeeltern Jac>ies
als Armenhäusler ſind völlig ſchuldloſe, ehrwürdige alte Herrſchaſten, die ſelbſtver-
ſtändlich ein noch viel ſchöner eingerichtetes Häuschen wiederkriegen. Zwiſchen
Vater und Mutter, die beide herzensgute Menſchen ſind, war alles nur ein unſeliges
Mißverſtändnis. Und die Moral: Die Bravheit, die Strebſamkeit nach Geld wird
belohnt; jie führt zum Sieg in der keineswegs fo ſchlechten kapitaliſtiſchen Welt.
Romantiſch verlogen wird auch das Leben eines Bettelmuſikanten dargeſtellt. Wer
das ſieht, ahnt nicht nur nichts von der Wirklichkeit, ſondern möchte am liebſten ſelbſt
ein ſolcher Bettelmuſikant werden.
Die ganze Darſtellung iſt ſentimental, d. h. rührſelig aufgemacht, und ſpekuliert
auſ die Rührſeligkeit der Zuſchauer. Sie beruht alſo auf lauter künſtleriſcher Unfähig-
feit, auf Lüge und Fälſchung und löſt auch. in vielen - Zuſchauern die verlogene
Gentimentalität aus, die ſie weinen läßt, aber nicht daran hindert, vor der Tür des
Kinos ſchon ganz entgegengeſetzt zu handeln. Wer einmal leſen will, wie ein wirk-
licher Dichter ſolch verlogene Sentimentalität enthüllt, und noh dazu mit gütigſtem
Herzen, der leſe „Frau Jenny Treibel“ von Theodor Fontane.
Das einzig Wahre und Künſtleriſche an dem Stü> mit Jackie Coooan iſt das
Spiel des Jungen ſelbſt. Er gibt im Spiel wahres Verhalten und wahres Gefühl
eines Kindes wieder und erwet in den Zuſchauern die gleichen Gefühle.
Kunſt iſt die bildliche (in Linien, in Farben, in Tönen uſw.) Wiedergabe von
Gejühlsleben. Iſt das Gefühlsleben irgendwie krank, abnorm, minderwertig, ſo kann
es, wenn es wahr wiedergegeben wird, immer noch Kunſt ſein. Freilich, eine geſunde
Geſellſchaft wird dieſe Kunſt ablehnen. Große, echte Kunſt wird wahr jein, typiſch
wahr, d. h. wahr aus einem Ganzen heraus; und außerdem wird ſie- geſund ſein,
Dd. h. fördernd für die Menſchen, ſie. zur vollen Wahrheit hinziehend.
Wenn von Wahrheit geſprochen wird, ſo iſt alſo nicht photographiſche Wahrheit
gemeint. Jeder weiß ja auch vom Märchen, daß es in. dieſem Sinne nicht wahr iſt.
Aber es muß ſinnbildlich wahr ſein, will es echte Kunſt ſein. Auch unter Märchen
gibt es maſſenhaft Kitſch. | . . | :
* Bill man noch einiges andere Charakteriſtiſche vom Kitſch ſagen, ſo .muß man
darauſ hinweiſen, daß die Herſteller ſolcher Ware, meiſtens aus Unfähigkeit, keine
wahren Geſtaiten |chaſſen, ſondern ſich mit groben Gegenüberſtellungen behelfen;
die guten Menſchen bei ihnen ſind Engel, die ſchlechten ſind Teufel. Ebenſo behelfen
ſie ſich mit grover „Tendenz“, Einſeitigkeit, wenn ſie-verſchiedene Richtungen gegen-