Full text: Arbeiter-Jugend - 18.1926 (18)

42 Arbeiter-Jugend 
 
überſtellen. In einem ſolchen Kitſchromän ſind 3. B. alle Sozialdemokraten oder 
Kommuniſten üble Kerle, wenn nicht Verbrecher, alle Bürger vagegen edelmütigze 
Verkannte ujw. Tendenz als ſolche macht no< keinen Kitſch, älle Kunſt hat auch 
Tendenz, ob Dantes, vb Shakeſpeares oder Gocihes. Nur wurzeln ihre Gefühle in 
einem Ganzen und durchleuchten dies Ganze, Leſſing läßt „Nathan den Weiſen“, den 
Juden, eine ganz beſtinmnte Tendenz vertreten; aber Leſſings Drama iſt gewiß 
fein Kilſch. 
Um es noch deutlicher zu machen was Kitſch iſt, und wie er, wieder aus Un-. 
jühigteit, mit abgegriſſenen Redensarten und unwahren Kliſchees arbeitet, will ich 
hier ein Stüc herſeßzen aus dem Roman einer vielgeleſenen Schrifiſtellerin (die nicht 
nur Kitſch ſchrieb). Jeder mag dann allein alles von Anfang an Geſagte hieran 
überprüfen, ' 
„Lilienweiß war ja ihr Geſicht zu allen Zeiten, und die berühmt ſchönen Augen hatten 
jo vſt jenen heißen Glanz, der an das fiebernde Blut des Südländers denken läßt == ſie hatte 
wie immer Zütig lächelnd gewinkt und war wie eine ſc<webende Fee hinter der Tür ver- 
ſc<wunden. Niemand ſah, daß ſie drinnen ſofort wie eine vom Sturm niedergeriſſene Tänne 
auf den teppichbelegten Boden hinſchlug, vaß ſie, wahnwißig auſlachend, den Kranz aus dem 
Haar riß und in wildem, tränenloſem Schmerz die feinen Nägel in die ſeidene Wanddrapie 
trallte. Und dazu nur eine kurze, ſtreng zugemeſſene Zeit, dann mußten dieſe verzerrteit 
Lippen wieder lächeln und alle die Hofſchranzen draußen glauben machen, daß das kochende 
Blut friedlich und leidenſchaſtslos in den Adern tode.“ 
Ieder beachte bei dieſem Erguß noch beſonders den inneren Widerſpruch, mit 
dem hier ein ungeheuerliches Gefühlstoben wiedergegeben werden ſoll umd gleich- 
zeitig die Schreiberin die lächerlichſten Nebenſachen mit Worten wie: feine (Nägel), 
ſeibene (Wanddraperie), teppichbelegten (Boden) uſw. heranzieht, die in gar keinem 
„wahren“ Zuſammenhang mit ſolchem Ausbruch ſtehen. 
Iſt das Kitſch, ſo gilt vom Schund alles in noch höherem Grade. Er iſt durc 
und durch unfünſtleriſch, oft auch abſolut ſinnlos; nichts als eine Häufung von Blut- 
rünſtigfeiten, Senſationen, Aufregungen, Wüſtheiten aller Art, Mord und Totſchlag. 
Unter der Maske warnen zu wollen, unter der Heuchelei, den Mann der Gerechtigkeit, 
den Detektiv und wer es immer ſei „ſiegen“ zu laſſen, wird einzig und allein ſpekuliert 
auf wilde, ungeklärte Inſtinkte; oft das Verbrechen geradezu gezüchtet. Der 
Schreiber ſolchen Schunds rechnet == leider oſt richtig genug = äuf die Dummheit 
ſeiner meiſt jugendlichen oder doc unerfahrenen Leſer. Ihm genügt die Hetze von 
„Spannung“ zu Spännung; was Kunſt iſt, was er anrichtet, was ſonſt geſchicht, iſt 
ihm völlig gleichgültig. Er iſt, um es ganz grob zu ſagen, ein ſchurkenhafter Fälſcher. 
Neben Kitſch und Schund bezeichnet man als Schmußliteratur ſolch? Mächwerke, 
in denen geſchlechtiiche Dinge auf künſtleriſch unwahre, auf kranke, widernatürliche, 
den einzelnen und die Geſellſchaft ſchädigende Art wiedergegeben werden. 
Bei allen drei Worten iſt alſo darauf zu achten, daß ſie nicht nur ein Urteil ent- 
hallen in der Art einer bloßen Feſtſtellung: dies iſt blau, dies iſt rot; ſondern ſie ſind 
Werturteile über die künſtleriſche Beſchaffenheit einer Arbeit ſowohl wie über 
deren Wirkung. 
In einer Klaſſengeſellſchaft wie der kapitaliſtiſchen wird Kitſch und Schmuß nie 
ganz vom Markt verſchwinden. Teils braucht man ihn zur Beeinfluſſung der Maſſen 
im Sinne der herrſchenden Klaſſe; teils iſt er glänzende Profitwar2. Verdrängen 
läßt ſich allenfalls nur der Schund. Die aufſteigende Klaſſe aber hat andere Intereſſen 
und eine andere, langſam heranwächſende Sittlichkeit. Ihre Aujgabe iſt, ſo lange ſie 
nod nicht geſiegt hat: in zäher Klärung und in praktiſchem Schaffen das Minder- 
wertige zu entwurzein.
	        
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