42 Arbeiter-Jugend
überſtellen. In einem ſolchen Kitſchromän ſind 3. B. alle Sozialdemokraten oder
Kommuniſten üble Kerle, wenn nicht Verbrecher, alle Bürger vagegen edelmütigze
Verkannte ujw. Tendenz als ſolche macht no< keinen Kitſch, älle Kunſt hat auch
Tendenz, ob Dantes, vb Shakeſpeares oder Gocihes. Nur wurzeln ihre Gefühle in
einem Ganzen und durchleuchten dies Ganze, Leſſing läßt „Nathan den Weiſen“, den
Juden, eine ganz beſtinmnte Tendenz vertreten; aber Leſſings Drama iſt gewiß
fein Kilſch.
Um es noch deutlicher zu machen was Kitſch iſt, und wie er, wieder aus Un-.
jühigteit, mit abgegriſſenen Redensarten und unwahren Kliſchees arbeitet, will ich
hier ein Stüc herſeßzen aus dem Roman einer vielgeleſenen Schrifiſtellerin (die nicht
nur Kitſch ſchrieb). Jeder mag dann allein alles von Anfang an Geſagte hieran
überprüfen, '
„Lilienweiß war ja ihr Geſicht zu allen Zeiten, und die berühmt ſchönen Augen hatten
jo vſt jenen heißen Glanz, der an das fiebernde Blut des Südländers denken läßt == ſie hatte
wie immer Zütig lächelnd gewinkt und war wie eine ſc<webende Fee hinter der Tür ver-
ſc<wunden. Niemand ſah, daß ſie drinnen ſofort wie eine vom Sturm niedergeriſſene Tänne
auf den teppichbelegten Boden hinſchlug, vaß ſie, wahnwißig auſlachend, den Kranz aus dem
Haar riß und in wildem, tränenloſem Schmerz die feinen Nägel in die ſeidene Wanddrapie
trallte. Und dazu nur eine kurze, ſtreng zugemeſſene Zeit, dann mußten dieſe verzerrteit
Lippen wieder lächeln und alle die Hofſchranzen draußen glauben machen, daß das kochende
Blut friedlich und leidenſchaſtslos in den Adern tode.“
Ieder beachte bei dieſem Erguß noch beſonders den inneren Widerſpruch, mit
dem hier ein ungeheuerliches Gefühlstoben wiedergegeben werden ſoll umd gleich-
zeitig die Schreiberin die lächerlichſten Nebenſachen mit Worten wie: feine (Nägel),
ſeibene (Wanddraperie), teppichbelegten (Boden) uſw. heranzieht, die in gar keinem
„wahren“ Zuſammenhang mit ſolchem Ausbruch ſtehen.
Iſt das Kitſch, ſo gilt vom Schund alles in noch höherem Grade. Er iſt durc
und durch unfünſtleriſch, oft auch abſolut ſinnlos; nichts als eine Häufung von Blut-
rünſtigfeiten, Senſationen, Aufregungen, Wüſtheiten aller Art, Mord und Totſchlag.
Unter der Maske warnen zu wollen, unter der Heuchelei, den Mann der Gerechtigkeit,
den Detektiv und wer es immer ſei „ſiegen“ zu laſſen, wird einzig und allein ſpekuliert
auf wilde, ungeklärte Inſtinkte; oft das Verbrechen geradezu gezüchtet. Der
Schreiber ſolchen Schunds rechnet == leider oſt richtig genug = äuf die Dummheit
ſeiner meiſt jugendlichen oder doc unerfahrenen Leſer. Ihm genügt die Hetze von
„Spannung“ zu Spännung; was Kunſt iſt, was er anrichtet, was ſonſt geſchicht, iſt
ihm völlig gleichgültig. Er iſt, um es ganz grob zu ſagen, ein ſchurkenhafter Fälſcher.
Neben Kitſch und Schund bezeichnet man als Schmußliteratur ſolch? Mächwerke,
in denen geſchlechtiiche Dinge auf künſtleriſch unwahre, auf kranke, widernatürliche,
den einzelnen und die Geſellſchaft ſchädigende Art wiedergegeben werden.
Bei allen drei Worten iſt alſo darauf zu achten, daß ſie nicht nur ein Urteil ent-
hallen in der Art einer bloßen Feſtſtellung: dies iſt blau, dies iſt rot; ſondern ſie ſind
Werturteile über die künſtleriſche Beſchaffenheit einer Arbeit ſowohl wie über
deren Wirkung.
In einer Klaſſengeſellſchaft wie der kapitaliſtiſchen wird Kitſch und Schmuß nie
ganz vom Markt verſchwinden. Teils braucht man ihn zur Beeinfluſſung der Maſſen
im Sinne der herrſchenden Klaſſe; teils iſt er glänzende Profitwar2. Verdrängen
läßt ſich allenfalls nur der Schund. Die aufſteigende Klaſſe aber hat andere Intereſſen
und eine andere, langſam heranwächſende Sittlichkeit. Ihre Aujgabe iſt, ſo lange ſie
nod nicht geſiegt hat: in zäher Klärung und in praktiſchem Schaffen das Minder-
wertige zu entwurzein.