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die bei ſteigender Kultur eine wichtige Rolle ſpielt. “Endlich das Nachdenken: über
die Frage, ob denn der Beleidiger wirklich ſo viel ſchuld hat, daß er eine harte Strafe
verdient, oder ob nicht vielleicht mildernde Umſtände vorhanden ſind, die jeine Tat
in einem günſtigen Licht erſcheinen laſſen, vielleicht gar eine Strafe zu einem Unrecht
machen. Die heutige Wiſſenſchaft hat gezeigt, daß bei den meiſten Vorgehen und
Berbrechen der Täter die allergeringſte perſönliche Schuld :an Jeiner Tat trägt, daß
vielmehr ſeine Veranlagung und Erziehung ſowie die Umwelt die eigentlich Schuldigen
ſind. Je mehr uns dieſe Tatſache bewußt wird, deſto mehr Veranlaſſung liegt vor,
auſ Rache Verzicht zu leiſten und Milde walten zu laſſen. Die Rachetheorie,
die früher unſer Gerichtsweſen beherrſchte und den Verbrecher mit unerbittlicher Härte
jtraſte, Darf heute wohl als überwunden gelten. Sie wurde abgelöſt durch die Ab-
Ihredungstheorie, die durc) harte Strafen die Menſchen abſchre>en und warnen
wollte, Dieſe iſt ebenfalls über Bord geworfen, die ſorigeſchritiene Kriminalwiſſen-
ſchaft ſieht in dem Verbrecher einen Menſchen, der gebeſſert werden ſoll, und vor
dem die Mitmenſchen geſchüßzt werden müſſen. Hier ſei an das Nießſchewort erinnert:
„Feind ſollt ihr ſag2n, aber nicht Böſewicht, Kranker ſollt ihr fagen, ater nicht Schuft,
Tor ſollt ihr ſagen, aber nicht Sünder!“ Treffend fügt Nietzſche hinzu; daß ein
Richter, der . offen bekennen wollte, was alles er ſelbſt ſchon getan hat, von dem
Unwillen ſeiner Mitmenſchen hinweggefegt würde. Denſelben Gedanken hat ſchon
Chriſtus ausgeſpro<hen, wenn er die Rache bekämpfte und zur Milde mahnte: „Richtet
nicht, damit auch ihr nicht gerichtet werdet. Wer von euch ohne Sünde iſt, der werfe
Den erjten Gtein!“ .
Wenn ſchon die Rach2 als individuelle Erſcheinung durch Belehrung und .Er-
ziehung allmählich eingedämmt werden kann, ſo liegt es bei der Rache als ſo»
ziagler Erſcheinung noch viel günſtiger. Allerdings befinven ſich gegenwärtig
noch Millionen von Menſchen unter dem ' Einfluß der Maſſenſuggeſtion im Bann
Des Rachegedankens, aber bei einigem Nachdenken müſſen ſie dody) erkennen, daß
ſie einem Wahn huldigen, Rache iſt eine Angelegenheit zwiſchen Menſch und Menſch;
Der Beleidigte nimmt Rache an dem Beleidiger, deſſen Perſon und Deſſen Verſchulden
er kannte. Wie ſollte es aber wohl möglich ſein, daß ein Volk ſich an einem anderen
Volk zu rächen vermöchte? Wie will man den Beleidiger oder Schädiger heraus-
finden und herausgreiien, wie will man den Schuldigen von dem Unſchuldigen unter-
j&eiden? Wird man nicht in den allermeiſten Fällen den Unſchuldigen treffen,
während der Schuldige ungeſtraft bleibt!
Man lege ſich nur einmal dieſe Frage zur Beantwortung vor, um zu erkennen,
daß eine rächeriſche Tat gegen eine Vielheit von Menſchen ein Widerſpruch in ſich
[elvſt iſt. Unſere Chauviniſten predigen einen Rachekrieg gegen Frankreich, gegen
das ſranzöſiſche Volk. Nicht gegen einen einzelnen Franzoſen, etwa Poincar6 oder
ſonſt einen Feind Deutſchlands, ſondern gegen die Franzoſen als Geſamtheit. Nehmen
Wir einmal 'an, es käme zu einem Krieg zwiſchen Deutſchland und Frankreich. Das
deutſche Heer rü>t in Frankreich, oder das franzöſiſche Heer rückt in' Deutſchand ein.
Wer wird unter den Gräueln des Krieges zu leiden haben? Eiwa die Kriegsheßer,
die Racheprediger, die Urheber des Krieges, die Schuldigen auf beiden Seiten?
Keineswegs! Die völlig Unſchuldigen werden von der Rache ge-
iroſſen: die Säuglinge, die Kinder, die Frauen, die Greiſe und Greiſinnen,
während die Kriegsverbrecher ihre werte Perſon längſt in Sicherheit gebracht haben
und weit vom Schuß ſind. Bei allen Kriegen iſt es noch ſo geweſen, daß die Aermſten
der Armen die unſchuldigen Opferlämmer waren, daß aber die Schuldigen aus dem
Krieg Vorteil gezogen haben. Das lehrt uns die Weltgeſchichte, die ja ein Rauſereien-
katalog iſt,. auf all ihren Blättern; daß der Krieg, ver Länder verwüſtet, Städte