ere uten
Arbeiter-Jugend | „539
jugend, ſp glaubt man zuerſt, ſich im Zimmer geirrt zu haben, denn eine ſolche Sammlung
eleganter Anzüge paßt nicht zu unſerer Vorſtellung von proletariſcher Jugend, Auch die Mit-
glieder der Arbeiterjugend ſind zunächſt, wie mir einer einmal ſo nett ſagte, ſchwediſche
Bürger und wollen auch als ſchwediſche Bürger nach außen hin auftreten, Sie lehnen es
grundjäßlich ab, anders gekleidet zu ſein als der ſchwediſche Bürger oder ſonſtwie andere
Lebensformen zu ſchaffen. Sie übernehmen vielmehr die Formen des Bürgertums, ſo daß
ſich ihre Veranſtaltungen keineswegs von denen irgendeines bürgerlichen Vereins unterſcheiden.
Die Veranſtaltungen finden nur alle vierzehn Tage ſtatt, Auf ihnen herrſcht aber nicht
das irohe, jugendliche Leben und Treiben, wie wir es bei den Veranſtaltungen der Arbeiter-
jugend und unter der Jugend überhaupt kennen, Es herrſcht hier vielmehr eine ſteife
Reſerviertheit, die den Schweden überhaupt ſehr eigen iſt. Auch hier tritt uns das Mitglied
der Arbeiterjugend als Repräſentant des ſchwediſchen Bürgers entgegen, des Geſellſchafts-
menſ<en, der angenehme Unterhaltung ſucht. Der Schwede liebt es nicht, auf Zuſammen-
fünften Probleme zu wälzen; er beſchäftigt ſich auch innerlich nicht mit den. Menſchen ſeines
Treundes- und Bekanntenkreiſes; ſind ſie ihm angenehm, ſucht er ihre Geſellſchaft, So ſpielt
auch bei der Arbeiterjugend der Gedankenaustauſch, das Suchen nach einem Lebensziel, keine
größere Rolle, Ein Gemeinſchaftsleben in unſerem Sinne kennt man nicht, Man will es
auf dieſen Abenden vielmehr yor allen Dingen „angenehm“ haben.
Cingeleitet werden die Abende durch einen belehrenden Vortrag. Dem Vortrag ſchließt
ſic) ein gemütlicher Teil an, der mit Kaffee und Kuchen eingeleitet wird und mit ein paar
Walzern endet. Am Sonntag finden ſehr ſelten Veranſtaltungen ſtatt. Größere Wan-
derungen werden kaum unternommen. Es liegt auch keine zwingende Notwendigkeit vor,
denn die Großſtadt, das unendliche Steinmeer kennt man in Schweden nicht. Selbſt wenn
man im Zentrum von Stockholm wohnt, kann man nach fünfzehn Minuten Straßenbahn-
oder Dampferfahrt in der ſchönſten Wald« und Felſenlandſchaft Schwedens ſein. Dort trifft
man aber ſehr ſelten Menſchen. Als wir einmal nach einem einſamen Streifzug dur< Wald
und über Felſen beim Vlaubeereneſſen lachten und plauderten, ſahen wir die erſten Menſchen
an dieſem Tag und machten keine erſtaunten Geſichter, als ein Herr im Vorbeigehen ſagte:
„Xatürlich ſind die einzigen Menſchen, die man hier trifft, Deutſche.“ Im Sommer wohnen
viele Arbeiterfamilien auf dem Lande, wo ſie ihr eigenes kleines Holzhäuschen haben oder
aber auch eine kleine Wohnung mieten. Wer dieſe kleinen Häuschen am See odor im Wald -
fennt, verſteht es, daß ſich die Menſchen aus dieſem Idyll nicht fortſehnen und Wanderungen
nicht brauchen. Im Winter kann man überhaupt kaum Wanderungen machen, da es
meiſtens zu kalt iſt und während des ganzen Winters Schnee liegt, Der Winter iſt die
Hauptſportſaiſon in Schweden. Es wird Ski und Schlittſchuh gelaufen, Schlitten gefahren uſw.
Der Sport ſpielt aber nicht nur im Winter, ſondern auch im Sommer dieſelbe Rolle
wie in Amerika und England. Man kann wohl ſagen, daß jeder Schwede vder jede Schwedin
irgendeinen Sport betreibt, ſei es Fußball, Rudern, Tennis, Segeln, Leichtathletik uſw.
Das ſchwediſche Volk hat ſich dadurch) geſund erhalten, und die Schweden ſind bei allen
internationalen Wettkämpfen gefürchtete Gegner. Das Intereſſe der weiteſten Kreiſo iſt
denn auch auf die ſportlichen Creigniſſe gerichtet. Dies zeigt ſich 3. B. deutlich, wenn Harry
Perſſon, der Liebling der Schweden, irgendwo geboxt hat. Dann ſtrömen abends Tauſende
nach den Zeitungen, um das Reſultat zu erfahren, und ich will nicht verſchweigen, daß man
angeſtedt wird und auch einmal hingeht, um zu ſehen, wie es Harry an dieſem Tage er-
gangen iſt, Sieht man einem Fußballſpiel zu, [9 iſt man ſehr erſtaunt, wijeviel Temperament
die ſonſt jehr kalten Schweden auf einmal entwi>eln, wenn ein ſchwediſcher Spieler ein
Tor geſchoſſen hat oder wenn die Zuſchauer der Meinung ſind, daß der Schiedsrichter falſch
entſchieden hat, Dieſe Sportbegeiſterung iſt ſelbſtverſtändlich am ſtärkſten bei den jungen
Menſchen und läßt ihnen keine Zeit zur Beſchäftigung mit geiſtigen Problemen.
21ys den oben angeführten Tatſachen geht ſchon zum Teil herpor, daß die ſoziale
Struttur dieſes Landes anders iſt als die der mitteleuropäiſchen Länder. Die I<hwediſche
Arbeiterſchaft hat eigentlich nie mit dem Gedanken einer Weltreyolution geliebäugelt. Sie
hat es aber verſtanden, jede, wenn auch nah ſo kleine Poſition zur Beſſerung der Lage
der Arbeiterſchaft wahrzunehmen, ſei es bei der Geſetzgebung, bei Arheitskonflikten oder
im Stadtparlament. Die Kämpfe der ſchwediſchen Arbeiterſchaft werden noch beainſtiat