Full text: Arbeiter-Jugend - 18.1926 (18)

74 Arbeiter-JIugend 
Hinterbliebenen, der Sozial- und Kleinrentner, der Landarveiter, Kleinpächter und 
Kleinbauern durch Schaffung von Siedlungsland verwandt werden. Die Schlöſſer 
uſw. ſollen Wohlfahrts-, Kultur- und Erziehungszwe>en zugutekommen. 
Mit der Einreichung dieſes Geſeßentwurſs und ſeiner Unterſtüzung durch die 
Sozialdemokratie beginnt eine neue Periode in der Geſchichte der Fürſtenabſindung 
und der deutſchen Politik überhaupt. Jett ſteht die Sache ſo: Sobald ein ſolcher 
Antrag eingereicht iſt, müſſen wenigſtens vier Millionen Wähler (ein Zehntel der 
Stimmberechtigten) in einer beſtimmten Friſt ſich in die vſfenitlid ausgelegten 
Liſten eintragen. Sie bekunden dur dieſe Namenseinzeichnung, daß ſie vom Reichs- 
iag verlangen, er ſolle den eingereichten Geſetzentwurf zum Geſeze machen. Das iſt 
das Volksbegehren, wie es die Verfaſſung vorſieht. 
Sind 'bei Schluß der Einzeichnungsfriſt vier Millionen Namen oder mehr gezählt, 
jo muß die Regierung dem Reichstag den Geſeßentwurf unterbreiten. Nimmt Der 
Reichstag ihn unverändert an, ſo iſt er ohne weiteres Geſez und muß als ſolches 
amtlich verkündet werden. Aendert ver Reichstag aber den Entwurf, oder lehnt er 
ihn gar ganz ab, jo muß das Volk ſelbſt darüber abſtimmen. Das iſt dann der 
Volksentſ<eid. Bei dieſem müſſen, damit die Abſtimmung überhaupt Geltung 
hat, mindeſtens zwanzig Millionen Wahlberechtigte als Abſtimmende ſich betei- 
ligen. Kommen weniger Wähler zur Abſtimmung, [ſo gilt das Geſetz als abgelehnt 
und die Fürſten könnten mit ihren Prozeſſen aufs Neue beginnen. 
Mit dem Volksbegehr und dem BVolksentſcheid iſt dur< die deutſche Reichs- 
verfaſſung ein außerordentlich wichtiges Recht den breiten Maſſen der Wähler in die 
Hand gegeben. Aber dieſes Recht iſt auch kein Spielzeug, das man alle Woche 
einmal in Betrieb ſetzen kann. Es iſt bei dem großen deutſchen Reichsgebiet außer» 
prdentlich ſchwer zu handhaben, bei der Verſchiedenartigteit der ſozialen Verhältniſſe 
zwiſchen Stadt und Land, Induſtrie= und Feudalbezirken nur wirkſam zu machen 
durch ein ungeheures Maß von Arbeit und Opferwilligkeit, durc< eine große geiſtige 
Strömung, die das ganze Volk bewegt und erregt. 
Dieſer Volksentſcheid und vieſes Volksbegehren werden die erſten ihrer Art 
in der deutſchen Republik ſein. Von ihrem Ausfall, von der Arbeit für ihre Wirk- 
ſamkeit, von dem großen Impuls, der die deutſchen Wähler und Wählerinnen zur 
Einzeicnung und Abſtimmung treibt, wird es abhängen, ob Volksbegehr und 
Volksentſcheid nur ſchöne DekorationsſtüFe in Den Auslagen der republikaniſchen 
Verfaſſung bleiben, oder ob ſie lebendige Wirilichkeit werden ſoilen. 
Die Gegenwart erfordert gerade von ver ſozialiſtiſchen IJugend Mitarbeit 
und Begeiſterung für die Ausübung dieſes Volksrechts, vas in ſpäteren Jahr- 
zehnten für ſie als deutſche Wähler von ungeheurer Bedeutung werden kann 
und muß. 
Im Volksbegehr und Volksentſcheibv ſteht zur Frage: 1. ob die überflüſſigen 
und abgeſeßien Landesväter-Familien noc) weiter das Daſein nicht arbeitender 
Drohnen führen ſollen, während das arbeitende Volk in Stadt und Land durch die 
Kriegsfoigen völlig verarmt ijt; 2. ob das vemokraiiſche Recht des eigenen Eniſcheids 
vom deutſchen Volke richtig gehandhabt werven kann! 
Die ſozialiſtiſche Jugend muß vorangehen und die Schwerſälligen und 
Begriffsſtußzigen mitreißen zum Volksbegehr und Volksentſcheid, mitreißen zur Aus- 
übung des volkstümlichſten Rechtes, das die Weltgeſchichte kennt! 
 
 
Ich glaube nicht, daß Gott die größere Hälſte der Menſchheit mit Sätteln auf dem 
Rücken und mit einem Zügel im Mund geſchaſſen hat und eine Handvoll Leute ge- 
ſtiefelt und geſpornt, um auf den anderen zu reiten. Rugtkin,
	        
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