Arbeiter-Jugend 75
Ferdinand Freiligrath.
gum 50. Todesiag des Dichters, 18. März 1876.
| Von E. Diederichs. .
/“S>reiligrath? -- Freiligrath, das iſt der Dichter des „Löwenritt“: „Wüſtenkönig iſt
“" Be der Löwe, will er ſein Gebiet durchſliegen, wandelt er nach der Lagune, in dem
4 Y hohen Schilf zu liegen : . .“ Sind nicht auch „Die Auswanderer“ von ihm:
Wa“ „Ich kann den Blik nicht von euch wenden . . ."? und dann noch „O lieb, ſo lang
du lieben kannſt“ und --- natürlich =- beinahe vergeſſen -- „Die Trompete von Gra-
velotte“ und „Hurra Germania“? Richtig! Stimmt alles; das ſteht in allen Schul-
leſebüchern; und noch dazu „ Der Blumen Rache“ und „Der Mohrenfürſt“ (das Ge-
dicht vom Negertrommler auf dem Kirmesplatz, der in verzehrender Sehnſucht der
Heimat gedenkt, in der er als Fürſt den Löwen und Tiger jagte).
Danach ſcheint Freiligrath ein harmloſer, vielleicht etwas romantiſch abenteuer-
luſtiger, jedenfalls aber ein für den Krieg 1870, für Bismar> und das Reich der
Hohenzollern begeiſterter Mann geweſen zu ſein. Wie ſieht nun aber das aus?
Die Freiheit iſt die Nation, Von dreißig Fürſtenhüten!
„Zſt aller gleich Gebieten! Die Freiheit iſt die Republik!
Die Freiheit iſt die Auktion - - Und abermals: die Republik!
Pulver iſt ſchwarz,
Blut iſt rot,
Golden ſla>ert die Flamme!
Das iſt „Schwarz-Rot-Gold“ aus den Märztagen der Revolution 1848!
Aber das iſt vielleicht eine „zeitweilige Verirrung“ des noch jungen Dichters?
Na, achtunddreißig Jahre iſt nicht gerade ſehr jung mehr; aber es könnte ja ſo ſein.
Wir wollen es prüfen. Als am 18. März 1906, am dreißigjährigen Todestage Frei-
ligraths, im „Vorwärts“ ein Artikel erſchien, in dem es hieß: „Ferdinand Freiligrath
"ſt der revolutionärſte Sänger des ſozialdemokratiſchen Proletariats", war die bür-
gerliche Literaturwiſſenſchaſt entrüſtet und warf dem „Vorwärts“ vor, die Dichtungen
des Jahres 1870 („Die Trompete von Gravelotte uſw.), die übrigens ganz und gar-
nicht „eriegsbegeiſtert“ ſind, nicht genannt zu haben.
Ob der „Vorwärts“ darauf geantwortet hat, weiß ich nicht, aber er hätte nur
die Gtelle eines Briefes anzuführen brauchen, den Freiligrath 1874 an den Dichter
Auerbach ſchrieb: „I< brauche dich nicht daran zu erinnern, wie ich in den Tagen
ver Gejahr (1870) mid) rü&haltlos auſ die nationale Seite geſtellt habe. Daß ich
varum aber das „Reich“, wie es aus vem Kampfe hervorgegangen iſt, für das Höchſte
halten jollte, für Das Ideal, nach dem wir alle geſtrebt, für das wir Kerker und Exil
nicht geſcheut haben: Das fällt mir nicht ein. Ich acceptiere (nehme hin) die Dinge,
wie ſie ſind, als eine zeitweilige Notwendigkeit, aber ich begeiſtere mich nicht dafür.“
Im Jahr 1866, nach dem Siege Preußens über Oeſterreich, hat der Dichter an einen
Freund geſchrieben: „I< bewundere die Tapferkeit des Heeres, aber ich perhorresciere
(verabſcheue) die jelbſtiſchen Zwecke der Hohenzollern und ihrer Berater. Ich ſehe
Caejarismus (kaiſerliche Willkürherrſchaft) und Praetorianismus (Militärherrſchaft)
voraus. Nach außen mögen beide der Stellung Preußens und Deutſchlands Reſpekt
verſchaffen, aber nach innen wird no< auf lange hin an keine wahrhaft freiheitliche
Entwiälung zu denken ſein. Die Kleinſtaaterei taugte den Teufel nicht, aber der
Caeſarismus iſt noch ſchlimmer.“
Niemand wird jagen können, daß dieſe Haliung des alten Dichters nach Be-
geiſterung für das neue Kaiſerreich ausſieht. Es iſt nicht anders: Freiligrath war
Republikaner dur) und durc, auch nach 1870, wenn er auch „ruhiger“ geworden war