Arbeiter-Jugend in 77
fenntniſſe, die ihn in Stand ſetzen, ausgezeichnete Ueberſezungen und Umdichiungen
zu ſchaffen und zum Dolmetſch, beſonders für engliſche und amerikaniſche Dichtung zu
werden. Vier Jahre war er Angeſtellter in einem großen Amſterdamer Kaufhaus,
in der Freizeit träumend von ſernen Ländern; ein wenig noc< Romantiker; kein
eigentlich lyriſcher Dichter, aber einer, der mit hinreißenden Rhythmen an beſtimmte
Bilder anzuknüpfen verſteht. Es waren neue Töne in der deutſchen Literatur, wenn
er im „Ritt“ ſang:
Galopp! --- die Zäume wehn! --- Langaden und Courbetten!
Galopp! --- Das Riemwerk blitßt von Kupferamuletten!
Galopp! --- Die Stange ſchäumt, vom Stirnhaar überwallt!
Galopp! --- Der Kaftan fliegt, bunt glühn die Sammetdedken,
Der Säbel klirrt! --- Galopp! --- Die. Rappen und die Schecken,
Die Fahnen und ider Lanzenwald!
In dieſen jüngeren Jahren entſtanden all die bekannten „exotiſchen“ (ferne Länder
ſchildernden) Gedichte. Freiligrath hat ſpäter geſagt, daß dieſe ſeine Dichtung im
Grunde auch revolutionär war, =- Auflehnung gegen Zahmheit und Selbſtzufrieden-
heit. Etwas wahres iſt daran. Eine Neigung zu düſteren, oft grellen und ſchaurigen
Bildern behält Freiligrath ſein ganzes Leben lang bei. Die trüben Jugenderfahrungen
jpukten ſicher für immer in ihm nach. Ab und an aber gelang ihm auch ein ganz
reines, lyriſches Gedicht, ſo das Gedicht „Mit Unkraut“, das er (1840) der veimlich
Geliebten, ſcheinbar Unerreichbaren, ſeiner ſpäteren Frau 'widmete:
„I) ſchritt allein hinab. den Rhein, Zyan' und Mohn erglänzten ſchon,
Am Hag die Roſe glühte, Der Südwind bog die AYAehren;
Und wunderſam die Luft durchſhwamm Veber Rolandsed, da ließ ſich kec>
Der Duſt der Roſenblüte. Eines Falken Luftſchrei hören . . . «6
„In wedchſelvollem Hin und Her, in Soeſt, Barmen, am Rhein, in der Schweiz
und in Belgien, bald freier Dichter, bald wieder in der Fron auf dem Kontorſchemel,
wächſt der Dichter heraus aus ſeinem perſönlichen Erleben in das Allgemeinempfinden
ſeiner Zeit. Wie alle freiheitlich Geſinnten von damals ſtändig ſchikaniert von
preußiſcher Polizei und Zenſur, ſuchte und fand er in London eine kaufmänniſche
Stellung; immer voll Sehnſucht nach den Buchen und Eichen ſeiner Heimat, ein
glühender Vaterlandsfreund, aber ein tiefer Haſſer des Königtums und ſeiner Rez
gierung, denen er jede Demütigung gönnte. Als dann 1848 endlich der Sturm los-
brach, kehrte Freiligrath zurü&k. Am 13. April ſchreibt er aus London: „Die Ents-
wiälung der Dinge in Deutſchland befriedigt mich bis jetzt nicht. Du- meinſt, die
Republik werde die Anarchie bringen, ich aber ſage Dir: Jett ſte>t Ihr bis über die
Ohren in der Anarchie, und nur die ganze volle Freiheit wird Cuch aus der unſeligen
Halbheit retten.“ Freiligrath hoffte (Juni 1848):
Troß allodem und alledem: ſo kommt denn an, troßz alledem!
Ihr hemmt uns, doch ihr zwingt uns nicht -- unſer die Welt troß alledem!
Es gelang nicht. Freiligrath ſelbſt zog ſich mit dem Gedicht „Die Toten an die
Lebenden“, in Dem er den König darſtellt, der vor den Märzgefallenen den Hut ziehen
mußte, und in dem er fordert: die halbe Revolution zu einer ganzen zu machen,
Anklage und Unterjuchungshaft zu. Zwar wurde er freigeſprochen, aber den weiteren
ausſichtslofen Kampf mit den Behörden wollte er nicht wieder aufnehmen. Er ging
erneut nach England, wurde engliſcher Staatsangehöriger und konnte erſt im Jahr
1868 zurüätfehren. Am 19. Mai 1849 aber hatte er für Karl Marx, der gleichfalls
den Schikanen wich, aber noh die letzte Nummer der „Neuen Rheiniſchen Zeitung“ in
blutrotem Dru herausbrachte, das „Abſchied5wort“ geſchrieben: