Full text: Arbeiter-Jugend - 19.1927 (19)

 
  
 
 
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Unſere Auslandsreiſe nach Geſterreich. 
Im Qprilheft der „Arbeiter-Iugend“ machten wir auf unſere 
diesjährige Auslandsreiſe nac Oeſterreich aufmerkſam. Die 
Reiſe dient Erholungs- aber au<ß Studienzwecken. Uun kommt 
ein Drittes hinzu: der internationales Solidaritätsgedanke. 
Wir verbinden mit der Tour den Beſuch des zweiten öſter- 
reihiſ<ew IJugendtags in Klagenfurt, das dis an der 
italieniſchen Grenze liegt. Wir haben deShalb unſeren Reiſe- 
plan etwas abgeändert. 
Wir ſammeln uns, wie feſtgeſezt, in Paſſau an der baye- 
riſchen Grenze. Als Anreiſe- und 1. Tag gilt der Sonntag, 
7. Auguſt. Sobald wir die Sommerfahrpläng haben, werden 
wir eu<h ſagen, mit welchem Frühdampfer wir am 2. Tag 
(Vontag) das reizende Donauſtädt<hen verlaſſen, um bis 
Linz zu fahren, wo uns die erſten öſterreichiſc<en Genoſjen 
empfangen und in die Quartiere geleiten. Ua<h einem fröh- 
lihen Abend werden wir am 3. Tag wieder den Dampfer 
beſteigen und bis Wien fahren, wo uns die Genoſſen auf 
einige Tage beherbergen worden. Am 4., 5. und 6. Tag werden 
wir auf Erholung für die kommenden Gebirgstouren bedacht 
ſein. Wir werden. uns aber au< die Stadt Wien, die ſüd- 
deutſche Ybetropole anſehen. Die Beſichtigung der SehenS- 
würdigkeiten, des Wohnungsbaues, der : kommunalen Ein- 
rictungen, eins kleine- Reiſe in den Wiener Wald wird teil- 
weiſe freigeſtellt ſein. Ie nar den Derhältniſſen ijt auh ein 
Ausflug auf den Semmering vorgeſehen. 
Am 6. dder 7. Tag fahren wir mit dem Sonderzug der 
Wiener Genoſſen. dur< das Zo<gebirge nom KRlagenſjurt 
und machen den Iugendtag am 7. und 8. Tag, alſo am 153. und 
14. Auguſt mit. | 
Der 9. Tag wird uns dann mit der Eiſenbahn zuerſt an 
und unter den 3000 Uleter hohen Bergen ein Stück vorwärts 
bringen. Dann beginnt die Wanderung, die am 9.,10.,11. 
und 12. Tag dur< das ſchöne Rä rnten fortgeſezt wird, bis 
na< Bregenz am Bodenſvoe. 
In Bregenz beſteigen wir no< den Dfänder (1050 Meter, 
neue Drahftfeilbahn), nehmen Abſ<ied von der LNlpenwelt, 
überſehen den größten Binnenſee Europas, den Bodenſee, den 
wir am 13. Tag per Dampfer überqueren, vorbei an Lindau, 
Friedrichshafen (Zeppelin-Werke), DbeersSburg, RKonjtanz. 
In Konſtanz werfen wir von der Eiſenbahn den lezten Blik 
auf den Bodenſee und bei „Sicht“ auf die Alpen. 
Unſere Reiſe gilt an dieſem Abend dem Städtchen Singen 
am Hohentwiel (die bekannten Maggi-Werke), wo uns eine 
gaſtliche Ortsgruppe, und zwar wieder die erjte deutihe, 
empfangen wird. Der 13. Tag führt uns auf den „Twiel“ 
(Scheffels „Ekkehard“ leſen) und iſt aum als Lbreiſetag 
beſtimmt. nn 
Der 14. Tag, Sonnabend, 29. Auguſt, iſt allgemeiner He i m- 
zrviſetag. Eventuell iſt Zwiſ<henguartier in Stuttgart 
möglich. Schon in Lindau iſt es mögli<, unſere Tour über 
die Bahnſtre6ke Münden zu verlaſſen. Singen liegt an der 
Bahnſtre>e Züri<h--Berlin. Ihr ſolltet eue) umjehen, von wo 
gus ihr, je noh der Lage eures Beimatorts, abſahren wollt 
und was die Fahrt Koſtet. . | 
Uober die Koſten kann no< nichts Genaues geſagt werden. 
Es koſtet die Fahrt Paſſau--Wien 11 Schilling, Wien--Klagen- 
furt 10 Sdilling, Klagenfurt--Bregenz -- da wir viel 
wandern -- etwa 15 Sc<illing. Das wären 36 Schilling, d.D. 
40 Schilling mit Bodenſeefahrt ohne Fahrgeld na< Pajſau 
und für die Rückfahrt von Lindau oder Singen! Dazu kommt 
der Droviant, den jeder Teilnehmer ſelbſt beſtimmen Kann. 
In Wien gibt es billiges Eſſen in Speijehäuſern. ES ſind noh 
zu rechnen die 12 Uebernahtungen, roobei es darauf an- 
kommt, ob wir Iugendherbergen, Gebirgshütten, Frei- 
quartiere bei den Genoſſen erhalten. DorſichtShalber wollen 
wir annehmen, wir hätten täglich 2,50 Vlk. fär Quartier auſf- 
zubringen. Ohne Proviant, ohne Hin- und Rückreiſe wären 
alſo 40 Schilling oder etwa 28 M8. und 30 Mk. gleich 58 VIk. 
zu ſparen. Um billigſtes Quartier werden wir uns noh ſorgen 
umd dies dann hier mitteilen. Dieſe Preiſe verſtehen: ſich ohne 
die Sonderfahrt nam dem Semmering, die etwa 6 UlR. koſtet 
und ohne Straßenbahnfahrten in Wien. Wir teilen eud dieſe 
Preiſe ohne Gewähr mit, damit ihr eu< einrichten könnt. 
Alle die Reiſe betreffenden Zuſchriften ſind an den Haupt- 
vorſtand zu richten. Kundige Samariter wollen ſic) melden. 
Arbeiter-Jugend 
Ur. 6 
Auf ſtrengs Selbſtdiſziplin im Rahmen der Jugendlichkeit 
wird geahtet. Als Wanderkleidung wähle man die erprobte 
Wanderkleidung mit doppelſohligen, genagelten Schuhen. Bei 
aller Abneigung kann ein Bergſto> aute Dienſte tun. Für 
Witterungswedſel müſſen Mä del wie Burſchen warme Unter- 
kleidung mitnehmen. Sdneebrille, au; Codenhut angebracht. 
Waſſerdichter Mantel, Feldſteher und Photographenapparat 
laſſen: ſic) gebrauchen. 
Wer weniger Geld ausgeben will, fährt eine Wodge 
ſpäter über Salzburg--Dilla<--KRlagenfurt. Fahrgeld 12 Sdqil- 
ling oder 8,40 Mk. Sonnabend, 13. Auguſt eintreffen. Um- 
gekehrt können, im Lotfall, Teilnehmer von Rlagenfurt nach 
der erſten Woche direkt na<4 Salzburg (Anſchluß Ylünden) 
und nach Bauſe fahren. Die Derminderung der Kojten läßt 
ſi) leicht errehnen. 
Mitkommen kann jedes Mädel, jeder Burſche der SA8I., 
Führung unter- 
ſofern ſie ſich den Bedingungen und der 
| Georg Spiegel. 
ordnen. 
 
DIE JUGEND IN DER GESETZGEBUNG | 
Das hauswirtſchaftliche Berufsſc<huljahr. 
In allen Umfragen über die Frauenerwerbsarbeit kehrt - 
die Behauptung wieder, daß die Uahfrage nam hauswirt- 
ſ<aftlihem Perſonal größer iſt als das Angebot. Die weib- 
lihe Iugend in Stadt und Land zieht die Beſchüſtigung im 
Produktionsprozeß, gleiQviel ob Fabrik oder Kontor, dem 
Bausangeſtelltenberuf mit ſeiner Unfreiheit, ſeinen in den 
allermeiſten Fällen ungeregelten Lohn- und Arbeitsverhält- 
niſſen vor. Die Hausfrauen ſuchen nun na< Wiitteln, dieſen 
ihnen unbequemen Zuſtand zu beſeitigen. Hierzu gehört au< 
die vom „Reichsverband der Hausfrauenvereine“ propagierte 
allgemeine rveichsgoſezlic<e Einführung des hauswirtſ<haft- 
lichen Berufsſ<uljahres. Praktiſch iſt es bereits jeit 1919 
in der freien Stadt Bremen, die eine eigene Schulgeſeßgebung 
hat, dur<geführt. Die Mädchen müſſen na< Beendigung der 
achtjährigen Schulzeit ein Iahr lang, alſo bis zum 15. LebenSsS- 
jahre, hauswirtſ<aftliche Schulen beſuchen. Der Unterricht 
wird in 24 Wochenſtunden, täglich vier Stunden, erteilt. Die 
Mädel: lernen kochen, waſchen, plätten, backen, nähen, flicken 
und erhalten Unterricht in hauswirtſ<haftlicßer Bumführung, 
Ernährungs- und Erziehungslehre. Für ungelernte Arbeite- 
rinnen iſt mit dem hauswirtſhaftlichen Schuljahr die Berufs- 
ſ<Hulpfli<t beendet, für kaufmänniſ<e und andere Lehrlinge 
beſteht ſie ſort. 
Was iſt nun vom Standpunkt der arbeitenden Jugend, der 
ABrbeiterſhaft überhaupt, zu dieſem Wunſ< des Hausfrauen- 
verbandes zu jagen? Feſt ſteht, daß die „Hausfrauen“ 
alauben, dur< Einführung derartiger Schulen den Wlangel 
an geübten Bausgehilfinnen beheben zu können. Für ven 
Boſuch dieſer Shulen kommen aber nur die Uädchen der 
Dolksſ<ulen in Frage, da die S<hülerinnen der Höheren 
Schulen dieſe erſt mit dem 15. LebenSjahre oder nod ſpäter 
verlaſſen. Die höhere Schule iſt ſchon ein Teil BeruſSvor- 
bildung, während die Proletariermäd<en dur? das haus- 
wirtſchaftliche Schuljahr erſt ein Iahr ſpäter in die von ihnen 
gewählte Berufslehre hineinkommen können. Weld) großer 
Uadteil hierin für die Mädel liegt, bei denen der Wunſ< 
auf Erlernung eines Berufes bei den Eltern ſehr oft über- 
haupt auf Widerſtand ſtößt, iſt klar zu erſehen. Hinzu kommt, 
daß die Derdienſtmöglichkeit der Mädel, die von den Arbeiter- 
eltern ſehnſüchtig erwartet wird, erſt ein Iahr ſpäter eintritt. 
Wenn die Forderung der organiſierten Jugend, Ausdehnung 
der Schulzeit auf neun Iahre, Umgeſtaltung des Lehrplans 
der Dolksſchule in der Richtung auf eine beſſere Dorbereitung 
für das Berufsleben, erfüllt wird, kann nimQts dagegen ein- 
gewendet werden, wenn den Mädchen u. a. Hauswirtſ<ajt- 
liher Unterrict erteilt wird. Kllerdings darf er nict 
auf Koſten des übrigen Unterrichtsſtoffes geſ<ehen. Dorerſt 
muß aber einmal durc Reidsgeſez die Einführung des 
Pflihtfortbildungsſ<ulbeſuhs für alle jungen Mädden bis 
zum 18. Jahre erfolgen, gleichviel ob ſie in der privaten 
Hauswirtſ<aft oder im Produktionsprozeß tätig ſind. Der 
Ruf der „Hausfrauen“ na< dem Hhauswirtſ<aftlichen Beruſs- 
jahr kann darum bei uns ebenſo wenig Widerhall finden wie 
bei der gewerkſ<aftlichen Organiſation der Hausangeſtellten. 
Käte Fröhbrodt. 
Zr
	        
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