1. - Beilage d der „ * „Brbeiter-Iugend 6 |
Rudolf Abraham: Marxismus. der Tat.
| En einer öffentlichen Derſammlung, die unmittelbar im
| W Anſchluß an den in dieſen Wo<hen abgehaltenen Partei-
Y tag der deutſ<en Sozialdemokratie ' ſtattgefunden hat,
erklärte der öſterreichiſche Genoſſe Renner, Riel“ ſei ein
Wendepunkt in der Geſ<ichte der deutſ<en KArbeiter-
bewegung. Faſt gleichzeitig äußerte der Parteivorſißende,
Genoſſe Wels, es ſei dies der größte Parteitag geweſen, an
dem er Zeit ſeines Lebens teilgenommen habe. Und au< wir,
-die wir ni<t dabei geweſen ſind, haben wohl aus den Zei-
tungsnadrichten und den Berichten der zurückgekehrten Ge-
- noſſen das erhebende Gefühl gewonnen, daß. es ganz Großes
iſt, was- Riel. uns gebra<ht hat.
Arbeiterjugendbewegung dort in beſonderer Art und weit
mehr zur Geltung gekommen iſt als auf früheren Partei-
tagen, ſoll hier die Rede ſein, ſondern von dem, was Kiel für
"die Geſamtbewegung der deutſchen Arbeiterſchaft - bedeutet.
Uicht der Beidelberger Parteitag, auf dem das neue Pro-
gramm der Partei beſchloſſen wurde,
der- Bewegung eine ihrer jetzigen "praktiſchen Politik ent-
ſprechende theoretiſQ<Ge Grundlage geſchaffen. Kiel hat den
Prozeß der theoretiſchen Ueuorientierung der Partei, der die
Praktiſche ſ<on voraufgegangen war, zum Abſchluß gebracht.
In der Zeit des Kaiſerrei<hs war es für die: Sozialdemo-.
kratie nahezu eine Selbſtverſtändlikeit, in ſtändiger grund-
ſäßlicher Oppoſition zu bleiben und jenem Syſtem jede Art
pon Mitarbeit und Unterſtüßung zu verſagen. Zwar gab es
ſhon damals Genoſſen, die eine ſolche freiwillige Selbſtaus-
ſchaltung nict guthießen und rieten, überall, wo ſich Gelegen-
"heit biete, mit Hand anzulegen und praktiſchen ECinfluß zu -
'üben. Aber ſie vermochten ſich in der Partei nicht dur<zu-
Fetzen, blieben vereinzelt, wurden als „Reformiſten“ abgetan.
- - In den Jahren ſeit Krieg und Revolution iſt die Partei
in einen Gärungsprozeß geraten: die frühere grundſäßli<e
Oppoſitionspolitik iſt fallen gelaſſen worden, das revolu-
' tionäre Wirken der Partei beſ<ränkte ſich ni<t mehr auf die
-Uegation, ſondern die Sozialdemokratie wurde mit Träger,
“und zwar Hauptträger der aufbauenden Arbeit, und ſie trug
jahrelang den größten Teil der Derantwortung für - das
ſtaatliche Ceben. Sie trägt diefe Derantwortung nod) heute
in Preußen und iſt jederzeit bereit, ſie auh im Reiche wieder
zu übernehmen, wenn die Gewähr vorhanden iſt, daß ſie dort
nicht als Dorſpann für fremde Intereſſen mißbraucht wird,
ſondern den ihrer Bedeutung entſprechenden Einfluß im
'Intereſſe der Arbeiterſ<aft wirklich auszuüben vermag.
So konnte die Anſicht entſtehen, -die deutſ<e Sozialdemo-
-„Kratie habe ihre alten theoretiſ<en Grundlagen in der Praxis
aufgegeben, ohne ſim deren neue ſ<affen zu können, und
: weniger wohlwollende Kritiker ſprachen ſogar von. Drin-
zipienverrat und Körruption.. Das war nur .mögli<, weil
man es lange unterließ, ſich in der . Geffentli<keit grund-
jäßlich und au<ß theoretiſq; zu dem zu bekennen, was män
in der Praxis- tat. Als ob es eine Sande wäre, . den Tat-
"ſachen Redhnung zu tragen, zu zeigen, daß man mit beiden
' Füßen in der Wirklichkeit ſteht! Als öb man verbergen
müßte, daß man weit mehr Poſitives für die Arbeiterſchaft
geleiſtet hat als die, welche heute ſchon in einer -Welt leben,
die nur jahrzehnte- oder jahrhundertelange Arbeit - -Zu ſaſſen
- Poermag.
Dieſen Zuſtand überwunden, der Politik der deutſchen
Uicht davon, daß die
ſondern „erſt Kiel hat.
ſprechen,
Iution“ von: 1918 deren eine war,
Tuütionen“ .zu bezeichnen, iſt wiſſenſchaftlich ungenau; denn es
„wird auf dieſe Weiſe leicht eine Derwechſelung mit der Revo-
Iution im Sinne des 'Geſamtprozeſſes bewirkt, der wirkli
Arbeiterbewegung klare theoretiſ;Me JFormulierungen Ze-
geben zu haben, das iſt das Werk von Kiel, und eben darum
iſt Kiel in der Tat ein Wendepunkt ſjür die Entwicklung der
Sozialdemokratie, für ihre innere Entwicklung, weit
mehr, als es irgendein neues Parteiprogramm ſein kann.
Denn Kiel war gin Stück Bewegung, und no& immer gilt das
' Wort: „Ein Schritt Bewegung iſt mehr wert als ein Dußend
Programme.“
*k
- Wollen wir die ganze Bedeutung der Entwicklung, die mit
Kiel ihren Abſchluß gefunden hat, verſtehen und würdigen
lernen =- und das iſt ja die Aufgabe dieſes Blattes --, ſ9 gilt
es, die Kernfrage zu erfaſſen, um die ſic) die KAuSeinander-
jeßungen der lezten Iahre innerhalb der Arbeiterbewegung
gedreht. haben. Die ſo viel diskutierten Fragen „Parla-
mentarismus oder Rätediktatur?“, „Koalitionspolitik mit
Bürgerlichen?“ uſw. -- all das ſind nur Fragen zweiten und
dritten Ranges. Das Kernproblem iſt die Frage nam dem
Weg der ſozialen Revolution: führt dieſer Weg über die
Sozialpolitik, die ſoziale Reform, oder fordert er Gewalt-
anwendung, Revolte, Bürgerkrieg?
Um die Bedeutung dieſer Frageſtellung zu verſtehen, tut
- vorerſt eine klare begrifflihe Abgrenzung not.
Da iſt von vorn herein zu warnen vor der Auffaſſung, als
jeien Sozialreform und ſoziale Revolution Gegenſätße. Wenn
man freilicd Revolution im Sinn der früheren bolſhe-
wiſtiſchen Anſchauung, wenn man ſie, um mit Laſſalle zu
im „Heugabelſinn“ auffaßt, dann wird zwiſc<en
Revolution und Revolte kein Unterſ<ied mehr ſein: beides
wird den gewaltſamen Kufſtand, die gewaltſame Erhebung
bedeuten. Für uns aber iſt die Revolte nur ein -- niht
einmal unbedingt notwendiger -- SHritt innerhalb des
Geſamtvorganges der ſozialen Revolution. Und unter dieſer
verſtehen wir den ganzen gewaltigen Umwälzungsprozeß, der
aus der kapitaliſtiſMen Wirtſ<afts- und GeſellſMaſtSordnung
im Caufe der Zeit zur ſozialiſtiſ<en führt. Dieſer DrozeZ,
der, als Ganzes betrachtet, die Umwälzung der geſamten Ge-
ſellſ<aft und eben damit die ſoziale Revolution bedeutet.
vollzieht ſim überwiegend auf dem Weg der Evolution, der
allmählichen, dur< ſoziale Reformen, ſozialpolitiſ<e laß-
nahmen geförderten Entwieklung. Unterbro<en wird dieſe
Entwicklung unter Umſtänden dur< gelegentliche Erhebungen,
Revolten, die einen beſonders rückſtändigen Red<tszuſtans
dort dur< einen einmaligen gewaltſamen Akt zu beſeitigen
und zu erneuern beſtimmt und geeignet ſind, wo die Staats-
und Redtsentwicklung mit den tehniſ<en und wirtſMaſt-
lichen Umwälzungen nimt Sdritt gehalten hat.
' Dieſe vereinzelten - Erhebungen, wie die. Uovember-„Reva-
überhaupt als „Revo-
als ſoziale Revolution anzuſprechen iſt. Und dieſer
'Fehler öffnet demagogiſ<em Viißbrau< Tür und Tor, weil er
.die Möglichkeit bietet, .die Genoſſen als Derräter an der
Fozialen „Revolution“ zu verleumden, die die „Revolte“ ab-
Tehnen. Man wird daber gut tun, die, die mit dem Begriff
Revolution allzu leichtfertig um ſi<z werfen, ſtets zu fragen,
was ſie denn darunter verſtehen, und man wird, um Vliß-