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Cieder hin aus allen JFenſtern Weißbrote, Brötchen und
Pläß<en geflogen kämen. Statt deſſen aber war ein
I<re>lic<es Getöſe loSgebrohen und kleine Rugeln waren
geflogen gekommen. Einer der Männer, die „Brot“ geſ<ren
hatten, hatte „weh“ geſchrien und war hingeſtürzt. Da hatten
der Dater und die anderen Leute unverſtändliche Dingg zu
tun begonnen: hatten aus einem bena<barten Haus Fäſſer
herbeigewälzt, einen zerbrochenen Tiſh, zwei: Bänke und
ſogar einen großen Bühnrerſtall berbeigeſhleppt. Alles dies
batten ſie in der Vlitte dor Straße aufgebaut und ſich jelbit
dahinter auf die Erde gelegt. Louis hatte begriſſen, daß die
traurigen Oeute Porſteken ſpielen wollten. Dann hatten ſie
aus ihren Gewehren geſ<oſſen, und au auf ſie war 6e-
ſchoſſen worden. Und dann waren andere Leute gekommen.
Aud) ſie hatten Gewehre gehabt, aber ſie hatten fröhlich ge-
la<ßt, und von ihren Müßen hatte große, ſchöne Rokarton
geleuhtet, und von allen waren ſie „Gardiſten“ genannt
worden. Dieſe Ceute hatten ſeinen Dater gepackt und ähn
na< dem Boulevard (Alleeſtraße) St. Martin geführt. Louis
hatte geglaubt, die Gardiſten wollten ſeinem Dater Eſſen
geben: und war ihnen nachgegangen, obwohl es ſ<on ſpät
geweſen war. Auf dem Boulevard hatte er la<ende Frauen
- geſehen und Stußer, die unter Kaſtanienbäumen rubinrote
Getränke ſ<hlürften, und tauſend Cichter hatten auf dem
ſpiegelnden Kſphalt des Trottoirs geflimmert. Lm
St. Martinstor hatte eine der ſorgloſen Frauen aus einem
Cafe den Eardiſten zugerufen: „Was führt ihr ihn ſo weit
weg, er kann ja auch hier ſein Teil bekommen . .“
Couis war zu der la<enden Frau hingelaufen und hatte
ſ<hweigend wig ein! Rabenjunge ſeinen YMund aufgeſperrt.
Einer der Gardiſten hatte ſein Gewehr genommen und einz2n
Schuß abgegeben. Der Dater hatte aufgeſchrien und war hin-
ceſtürzt, die Frau aber hatte gela<t. Louis war zum Dater -
geeilt, hatte ſich an ſein Bein geklammert, das no<h aUuS-
geſtreRt war, als ob der Dater im Liegen hätte weitergehen
wollen, und hatte fur<tbar zu ſchreien begonnen.
Da hatte die Frau geſagt:
„Erſ<ießt do< au< das Hundejunge!“
Aber ter Stußer, der am Uachbartiſ<) ſeinen rubinroten
Trank ſ<lürfte, 'Hhatte eingewandt:
„Wer wird dann arbeiten?“
Und Couis war am Leben geblieben.
Juli war ein ſtiller Auguſt gefolgt;
jungen, Reiner geſ<oſjen. Louis war Herangewac<ſen und
hatte das Dertrauen des guten Stußers goere<tfertigt; ſein
Dater Iean Rous war Maurer geweſen, und Maurer war
au< Louis Roue geworden. In weiter Ulankeſterhoſe. und
blauer Leoinenbluſe baute er Häuſer, baute Sommer und
Winter, das ſchöne Paris wollte immer no< ſ<höner werden,
und Couis war dort, wo die neuen Straßen angelegt wurden:
Ca Place de l'Etoile*).
Die breiten mit Kaſtanien bepflanzten Boulevards Hauß-
mann und YPlaleSherbes und die Prunkallee der Oper, deren
Gobhäude no<+ im Walde verſteckt lagen, wohin aber die un-
geduldigen Händler ſ<on ihre Raritäten: Pelze, Spizen und
Edelſteine brachten. Er baute Theater und Läden, Cafes und
Banken, baute herrliche Häuſer, damit, wenn über die
Straßen ter Wind vom Kanal wehte und in den Krbeiter-
manſarden: der Rörper vom Hau>! des Uovembernebels xr-
ſtarrto, die unbekümmerten Frauen ſorglos weiter lächeln
konnten. Er baute Bars (Trinkſtuben), damit die Stußer
nimQt vaurauf zu verzichten brauchten, in dunklen, ſtornen-
lojen: Nächten ihre rubinroten Getränke zu ſc<lürfen. Er
entferntg die ſ<weren Steine und legte das nſphaltene
leichteſte Pflaſter in der herrlichſten aller Städte -- Paris.
Unter Tauſenden von Blaubluſen gab es einen, namens
Couis Roue, in kalkgepudertoan Mandeſterhoſen, mit einem
großen fla<ßen Hut, die Tonpfeife zwiſchen den: Sähnen, und,
wie Tauſende anderer, plagte er ſich ehrlic um die Pracht
des zweiten Kniſerreimes.
. s) ſprich plaß do lötoall (Ton auf der Endſilbe) = RPlaßz des Sterns.
Auf den ſtürmiſ<en
Grbeiter-IJugend
tränk in ein Glas.
keiner hatte mehr 6Ge-
Er baute herrliche Häuſer, ſtand dabei tags auf der Ceiter
und lag nadhts in einer ſtinkenden Kammer einer Gaſſe im
Dorort St. Antoine*). In der Kammer rod) es nad) Kalk
und ſ<warzem billigem Tabak, das Baus ſtank na< Raßen
und uncewaſ<ener Wäſ<e, und die Straße ſtank wio alle
Straßen des Dorortes St. Antoine na< dem Jett der Roſt-
blehe, auf denen die Äraßienhändler Kartoffeln brieten,
nach dem faden Blutgeru< der IFleiſcherläden mit dem. lila-
geſtempelten PferdefleiſM, na< Beringen, na?) dem Unrat
der Müllhaufen und nah dem Rauch der Oeſ<en. Aber niht
der Dorortſtraßen wegen, ſondern wegen der breiten, na
Maiglö>k<en, naH9 Wandarinen und nam den Parfümerie-
ſchäßen der duftenden Boulevards und dem ſiebenzakigen
Stern, wo tfagsüber die Blaubluſen auf ihren Leitern
ſ<webten, wird Paris als die ſchönſte aller Städte gerühmt.
Couis Rouge baute Cafes und Bars. Er trug die Steine
zum Cafe du Regime zuſammen, dem Lieblingsaufenthalt der
Sqhadſpieler, zum Cafe Anglais, wo die Stußer, die Beſiker
von Rennpferden und berühmte Fremde ſich trafen, für die
„Taverne Madrid“, die in ihren Mauern die Schauſpieler
von mehr als ZWAnZIg Theatern ſammelte, . und ſür viele
andere würdige Bauwerke. Aber niemals, ſeit dem Tode
ſeines Daters, ging Louis Roue an vin fertig gebautes Caſe
nahe heran, und ni<t ein einziges Mal verſuchte er d72
rubinroten Getränke. Wenn er vom Unternehmer ein paar
weiße kleine Münzen erhielt, ſo nahm ähm dieſe Münzen
der alte Budenwirt in ſeiner Gaſſe ab, gab. Louis dafür ein
paar große ſ<warze Münzen und goß ihm ein trübes Gs-
In vinem Zuge goß Louis den Schnaps
hinunter und ging in ſeine Kammer ſchlafen.
- Gab es weder weiße no<h dunkle Münzen, no< Snaps,
no< Brot, noh Arbeit, ſo kramte Louis aus ſeiner Taſch2.
ein PrisShen verſchütteten Tabaks bervor oder ſuchte ſic) auf
dor Straße Ziägarettenſtummel, ſtopfte ſeine Tonpfeife und
ging mit ihr gedrü>t dur< die Straße n des Dorortes. Ex
ſang niht, no<h ſ<rie er „Brot“ wie eS einſt ſein: Dater, IJeanr
Roue, getan hatte, denn er beſaß weder ein Gewehr, mit dem
Gr hätte ſchießen können, no< einen Sohn, der wie ein
Rabenjunge den Sdinabel aufſperrte.
Couis Roue tat was in ſeinen Kräften ſtand, damit die
Frauen von Paris ſorglos läc<ßeln konnten, hörte er aber
ihr Lachen, ſo entfernte er ſim erſhrek>t: fo hatte einſt die
Frau in dem Cafe auf dem Boulevard St. Martin gela<t,
als Iean Roue auf dem Straßenpflaſter gelegen hatte, im
Ciegen no< bemüht, weiterzugehen. Couis hatte überhaupt
bis zu ſeinem fünfundzwanzigſten Iahre keine? junge Irau
in der Uähe goſehen. Kls er fünfundzwanzig Jahre alt ge-
worden war, paſſierte ihm, was früher oder ſpäter allen
Menſ<en paſſiert. In der Uebenmanſarde wohnte die junge
Taglöhnerin Juliette. CTouis begegnete Juliette abends auf
der engen, gewundenen Treppe, ging zu ihr, um ſi<Q Streid-
hölzer bei ihr zu holen, da ſein Feuerſtein abgenügt war
' und kein Feuer gab, ging hinein und kam erſt gegen Morgen
wieder heraus. Am andern Tag bradte Juliette ihre Zwei
Bemden, eine Taſſe und eine Bürſte in Louis Manſarde und
wurde ſeine Frau, und na< einem Iahr erſchien in der engeit
Manſarde ein neuer Gaſt, der im Standesamt als „Paul
Marie Roue“ eingetragen. wurds.
So lernte Couis das Weib: kennen, aber zum Unterſchied
von vielen anderen, auf die das herrliche Paris mit Recht
ſtolz iſt, lachte Juliette niemals, obwohl Couis Roue ſie ſehr
lichte, wie eben ein Maurer lieben kann, der die ſ<weren
Steins hebt und prachtvolle Bäuſer baut. Wahrſ<einlid
lachte ſie nie, weil ſie nur zwei Hemden beſaß und Louis,
der häufig weder helle noch dunkle Münzen hatte und finſter
mit der Pfeife dur< die Straßen des Dorortes St. Antoine
ſchlenderte, ihr auch nicht eine einzige gelbe Münze zu
einem neuem Rleide geben Konnte.
Im Borbſt 1869, als Louis Roue achtundzwanzig und ſein
Sohn Paul 3wei Jahre alt war, nahm JIuliette ihre zwei
x) ſprich ſäng angtoang (Ton auf der Endſilbe)