Full text: Arbeiter-Jugend - 19.1927 (19)

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Arbeiter-JTJugend 
Ur. 8 
Diktor Engelhardt: Räthe Koliwißt. 
äthe Kollwiß wurde vor kurzem ſechzig Jahre. IH 
& betone das -- niht um die Gedenktagmode unſerer 
Wi € Taceszeitungen mitzumachen -- ſondern, weil ſolche 
Tatſache die Stellung der Künſtlerin im Rahmen des uns 
interoſſierenden Kulturablaufs eindeutig feſtlegt. Käthe 
Kollwiß gehört der Generation unſerer Däter an. In Seiten 
feiter Kultur- - 
tradition ſpielen 
die dreißigTanre, 
die eine Genera- 
tionumſhließen, 
Keine Rolle; in 
Seiten der Gü- 
Lung, des Um- 
ſjhwungs gber 
ſind ſie alles. Sie 
werden zum 
ScGidjal. Sie 
maden einen 
großen Menſden 
ſchon an ſeinem 
ſc<zigjten Ge- 
burtstag ZUL 
hiſtoriſ<men Per- 
jöntlimkeit. Die 
Künſtlerin, vie 
ic? verehr2, wird 
mir dieſen QUS- 
ſpruch verzeihen. 
Umſ<hliceßt er 
dc< das Hödlie, 
was von gein2m 
 
erachteten, wenn ſie nur glei? „gut“ 
 
„Tendenz“ im Kunſtwerk, bedeutungslos. Es gab IDeitalier, 
die den Ruf nah „reiner“ Kunſt erhoben, für die der „Inhalt“ 
des Werkes nichts, 'die Form, das Können alles war; Zeit- 
alter, die eine Kohlrübe und eine Viadonna gleich wertvoll 
hingemalt waren. 
Bürgerlic<-individualiſtiſQe Kultur „erhob“ ſiM zu dieſer 
Sdchäßung. Was 
bedeutet ſie? 
Ui<t mehr und 
niQt weniger als. 
Iſolierung dor 
«+ Kunſt, die man 
genießen wollte, 
ohne von dem in 
den „Inhalten“ 
pulſenden LTeben 
aufgeregt oder 
geſtört zu WwLLX- 
den. Die Deiten 
ſol<;er individu- 
ellen Genießer- 
äſthetik ſind vor- 
bei. Das ſoziale 
Ceben, das all- 
umfaſſende Leben 
der Uleonſc<heit 
poht an die 
Türen au<m dos 
Individuelliten 
unter iden DId2it- 
genoſſen und 
zwingt ihn inden 
 
Menſ<enleben alle Zwingenden 
geſagt werden Abb. 1. 8us der Solzſ<nittfolge: Der Krieg. Bann. Soziale 
kann. Das künjit- Kultur iſt der 
leriſche Cobenswerk galt nicht der Geihmadsbeſriedigung 
von philiſtern, die heute, geſtern und morgen ſi? gleichen, 
--- nein, es griff ein in den Cauf des Geſchehens, es war 
ſelbſt Geſchi<te. Damit aber hatte es, wie jede Hiſtoriſch? 
Sendung, einen feſt umſ<riebenen Kufgabenkreis in vor- 
avcſ<riebener Seit Zu vollenden. = Dollendung bedeutet nit 
Ende. Pollendung im Rahmen d25 
geſhim<tlicen Werdens bedeutet: 
Ewigkeit. * Keine Gegenwart lebt 
ohne die Dergangenheit, Keine IDU- 
kunft kann ohne. die Gegenwari 
waGſen. Alles Seiende brau<ti das 
Gcewordene, und alles Geworden? 
bleibt, wenn es weſentlid< 
war. Aus dieſem Blikpunkt muß 
man das graphiſche Werk der Räthe 
Kollwik betra<hten. Es umſdließt 
das ſür die Sdöpferin viellzicht 
tragliid;o, für die Epoche aber wert- * 
volle Schickſal der Künſtlerin: Doll- 
endung -- Abſchluß -- in einem do4 
cwigen Wert. Die Blätter, die Frau 
Kollwiz ſchuf, ſind Steine am Bau 
der kommend2n Kultur, Steine im 
Fundament, Über iddas wir heute ſ<on 
hinauszubauen verſuchen -- aber 
Steine, die wir niemals loSbrechen 
können, ohne den Sinnzuſammenhang 
des Ganzen zu ſtören. 
Derbinden wir das künſtleriſche 
Werk jo eng, wie es eben geſchah, 
mit dem Ganzen der Kultur, ſo wird 
die Frage na<M der Berechtigung, der 
1.:::200M 
Kbb, 2. 
 
Aus dem Cyklus: Frauen und Kinder. die ihr in 
Zukunft CToſungswort. Da gibt es kein losSgelöſtes, in jim. 
befriedigtes Daſein, da gibt es Kein für ſich jeiendes Kunji- 
werk mehr -- da gibt es nur no<D die Geſamtheit unſerer 
Derfle<htung mit der GeſellſMaft. Kunſt muß aufhören im 
biSherigen Dirtuoſenſinne „Kunſt“ zu ſein; Kunſt muß ſelbſt- 
verſtändlic<e Lebensform werden. AuSdruk jed2s Teils, 
Form jeder LQufgabe im Rahmen 
der geſamten ſozialen Kultur. LebensS- 
raum (als Wohnung, als Garten, 
als Siedlung, Fabrik, Kaufhaus und 
DerkehrSeinrihtung) iſt notwendig. 
Kunſt muß ihn geſtalten, -- ohne 
ihn aber iſt ſie nichts. LebenSinhalt 
(fozialer Glaube, Religion und Wiſjen- 
ſhaft, Beziehungen der Uilenſ<en 
untereinander und zur Gemeinſ<aft) 
iſt ebenſo notwendig. Kunſt muß 
auh das geſtalten, -- ohne ſolchen 
Urgrund aber iſt ſie nichts. . Kunſt 
wird damit zum Dienſt verurteilt, 
zum Dienſt am Ganzen. Dom Ganzen 
empfängt ſig darum auch den Glanz 
und die Größe. Gibt ſie ihren biS- 
herigen Willen zur Selbſtändigkeit 
auf, ſo kann ſie nur wenig verlieren 
und alles gewinnen. Gewiß, ſiv iſt 
ohne den Zwe, den ſie erfüllt (Raume 
geſtaltung, Raumausſ<müdgung, In- 
haltSdarſtellung, LebensSformung im 
Kult uſw.) nict mehr denkbar, aber 
ſie erreicht im Zwe eine Üb2r ihren 
eigenen Bezirk hinausgehende Größe, 
ihrer Loslöſung vom
	        
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